Von Charlott Friederich
In diesem Moment - ich sitze auf einem Barhocker, schlürfe Kaffee und versuche mich an besagtem Text hier - sitzt Julia neben mir. Auch sie starrt auf ihren Laptop, schreibt an ihrer Reise-Reportage über Norwegen. Sich bei einem Kaffeedate mehr mit dem Computer als mit seinem Gegenüber zu beschäftigen, ist bei uns völlig in Ordnung. Schließlich sind wir Kollegen und können verstehen, wie und was der andere gerade tut . Und das ist, zumindest in diesen Momenten, sehr angenehm.
Doch mit Julia treffe ich mich nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zum Shoppen, zum Feiern und zum Schwitzen im Fitnessstudio. Wir reden über die Arbeit genauso wie über Dates und die Eskapaden der letzten Nacht. Sie weiß mehr von mir als einige meiner langjährigen Freunde. Und das oftmals nur aus dem stupiden Grund, dass wir uns täglich sehen und der „gute“ Vorsatz, privates und berufliches zu trennen, bei jedem gemeinsamen Kantinenessen und dem anschließenden vier-Uhr-Espresso in der Redaktionsküche mehr und mehr verschwindet.
Wo ist die Grenze zwischen Privat- und Berufsleben?
Grundsätzlich habe ich kein schlechtes Gefühl dabei, Menschen, mit denen mich ehrliche
Sympathie verbindet, etwas aus meinem Privatleben anzuvertrauen – und das gilt eigentlich auch für Kollegen. Doch wo ist die Grenze? Wie viel Vermischung von Privatsphäre und beruflichem Hickhack ist gesund? Diese Frage stelle ich mir, obwohl ich es gerne nicht täte, immer wieder – und mit mir viele andere, wie ein kurzer Blick ins Internet zeigt: Auf der
Dating-Plattform Elitepartner fragt sich beispielsweise eine Userin: „Ist es normal, dass gleich geredet wird, wenn man sich als Frau mit einem Kollegen gut versteht?“ und Online-Berufsratgeber, wie die Website Karrierebibel oder karriere.de, bieten sogar Regeln für die Beziehung zu „Frollegen“, einer Mischung zwischen Freunden und Kollegen an.
Auch einige Zeitungen haben sich dem Thema „Frollegen“ essayistisch, in Kommentaren oder mithilfe von
Experteninterviews angenommen. Klickt man sich stichprobenartig durch die Vielzahl der Beiträge, wird man jedoch früher oder später auf das eigene Gewissen zurückverwiesen. Denn die Meinungen über die Frollegen-Beziehung könnten nicht unterschiedlicher sein.
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Ist Freundschaft im Job eine Illusion?
In einem Beitrag der
Süddeutschen Zeitung beispielsweise warnt die Autorin offen vor einer Intensivierung der Kollegenfreundschaft. Durch sie seien Konfliktpotential und Leistungsabfall quasi vorprogrammiert. Das Argument: Früher oder später übertrumpfe das Streben nach
Kumpelhaftigkeit das Streben nach guter,
produktiver Arbeit und private Schwierigkeiten würden irgendwann automatisch als Rechtfertigung für unzureichende Leistung herangezogen. Das sei schlecht für den Einzelnen, vor allem aber für das Unternehmen. Das Fazit der Autorin: Freundschaft im Job ist „Illusion“. Nur Konkurrenz könne einen zu Höchstleistungen treiben und darum gehe es ja schließlich bei der Arbeit – „zunächst und zuallererst mal“.
Auch in einem Interview, das 2010 auf
Zeit Online erschien, kann Simone Janson, Expertin für Karrierefragen, dem „Wunsch, mit den Kollegen befreundet zu sein“ nicht sonderlich viel abhaben. Vor allem auf gleicher hierarchischer Ebene seien
Neid und Missgunst weit verbreitet, sagt sie. Der Kampf um die Karriere werde umso härter, wenn es keine Distanz gebe und private Informationen könnten situationsabhängig und zum eigenen Vorteil missbraucht werden. Dennoch rät die Expertin (schon wenig Sätze später und zu meiner großen Erleichterung) zu mehr
Gelassenheit in Sachen Frollegen-Debakel: Sich aus Angst vor einem Konkurrenzkampf mit unfairen Waffen gegen die Freundschaft mit einem Kollegen zu entscheiden sei falsch und auch nicht realistisch. Wer neun oder zehn Stunden täglich in der Arbeit verbringe, könne Berufs- und Privatleben irgendwann schlicht nicht mehr völlig trennen und das müsse er auch nicht. Vielmehr sollte man einem offenen Umgang mit dem Frollegen-Phänomen und seinen Tücken anstreben:
„Fast jeder kennt die Erfahrung, dass ein guter Freund einen auf einmal beruflich überholt und man neidisch ist. Solche Gefühle sind normal, gerade dann, wenn man selbst ambitioniert ist. Man sollte sich diese negativen Gefühle eingestehen und wenn einem die Beziehung wichtig ist, das Problem ansprechen. Tut man es nicht, wird die Freundschaft beeinträchtigt“, so Janson.
Aber wie soll man es trennen?
Der Herausforderung Frollegen-Zwickmühle mit
Ehrlichkeit begegnen? Für mich persönlich hört sich das recht annehmbar an. Also habe ich Julia darauf angesprochen und wir sind zu folgendem Schluss gekommen: Solange wir uns gleich viel an Privatem anvertrauen, wir gleich viele
Afterwork-Gintonics trinken und am nächsten Arbeitstag weiterhin gleich solidarisch den Ahnungslosen für den anderen spielen, kann uns nichts passieren. Wir beide haben etwas gegeneinander in der Hand - ein Gleichgewicht an potentieller Insider-Munition sozusagen. Diese Antwort hat mich beruhigt... doch wirklich glücklich macht sie mich nicht. Man muss wohl akzeptieren, dass Freundschaften im Job von Natur aus anders sind und sich nicht so jungfräulich führen lassen wie diejenigen, die nicht im Büro geschlossen wurden. Ihr Fundament ist und bleibt der Job. Doch das muss nicht heißen, dass sie nicht funktionieren oder nicht auch sogar ein Leben lang halten können.