Nizza Anschlag Gefühle Empfindungen

Nach Nizza: Wir sind Meister der Verdrängung

84 Tote, darunter auch Kinder. Zahlreiche weitere Schwerverletzte. Eine Stadt ist erst in Panik, dann in Trauer.

Am gestrigen, französischen Nationalfeiertag ist in Nizza ein Mann mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge gerast. Auf der Promenade des Anglais gab er Vollgas und fuhr zwei Kilometer lang durch die Menge. Der Wagen soll dabei mindestens einmal die Richtung geändert haben, um möglichst viele Menschen zu erfassen. Die Menschen, die gerade auf den Straßen feierten, brachen in eine Massenpanik aus und flohen in alle Richtungen (zu sehen auf einem Video von dem ARD-Journalisten Richard Gutjahr). Erst nach einigen Anstrengungen gelang es den anwesenden Polizisten, den Fahrer zu erschießen. Über den Hintergrund der Tat gibt es noch keine handfesten Informationen, Präsident Hollande äußerte allerdings die Ansicht, der Anschlag des Franko-Tunesiers habe „terroristischen Charakter“. Die Anti-Terror-Staatsanwalt ermittelt zwar noch, aber schon jetzt spricht der Präsident der Region von der „schlimmsten Tragödie in der Geschichte Nizzas“.

Frankreich war in den letzten eineinhalb Jahren Europas Zielscheibe für terroristische Anschläge: Das war bereits das sechste Attentat innerhalb mehrerer Monate. Man kann sich ausmalen, was das mit den Menschen vor Ort macht. Der Terror in Frankreich ist ein Schrecken ohne Ende. Die Frage ist nur: Was empfinden wir hierzulande eigentlich, wenn wir diese Horrornachrichten lesen? Welche Auswirkungen haben sie auf unser Leben hier? Die Franzosen sind schließlich unsere Nachbarn und es ist mehr als alarmierend, wie sich die grauenvollen Geschehnisse direkt vor unserer Haustür häufen.  Auch die Methoden scheinen immer brutaler zu werden: Die Terroristen schrecken offenbar vor nichts zurück. Es hat keinen Zweck zu behaupten, die Geschehnisse in Nizza hätten keinen Effekt auf unser Leben in Deutschland.

 

Die Angst könnte uns schließlich doch noch erfassen

 

Eine ganz logische Folge ist die Angst, die sich hierzulande wie eine Seuche ganz langsam aber auch ganz sicher ausbreiten wird. Denn tief im Inneren wissen wir ganz genau: Es hätte genauso gut uns treffen können. Jeder von uns hätte zu dieser Zeit gerade seinen Sommerurlaub in Nizza verbringen können.

Und höchstwahrscheinlich sind wir sowieso die Nächsten, die es trifft. Nur: Wann? Und was wird passieren? Es wäre logisch, wenn sich nun immer mehr Leute dazu entschließen, Menschenmassen zu meiden.

 

Wir sind, was wir sind: Verdrängungskünstler

 

Viele werden allerdings auch bei dem bleiben, was sie von allem am besten können: Verdrängen. Ja, natürlich kriegen sie mit, was da passiert, und natürlich finden sie die Ereignisse schrecklich. Aber sie lassen sie nicht an sich heran, weil sie sich nicht einschränken wollen. Niemals würden sie auf Großereignisse wie die Wiesn verzichten, auf die sie sich schon das ganze Jahr über freuen. Ihre Devise: Warum sollten wir uns aufs reine Überleben beschränken, wenn wir doch leben wollen?

Die letzte mögliche und höchstwahrscheinlich beunruhigendste Folge ist die Gleichgültigkeit. Und ausgerechnet die scheint sich bereits abzuzeichnen: Das Netz bleibt ungewohnt still – keine blau-weiß-roten Profilbilder, keine vor unzähligen Solidaritätsbekundungen überschwemmende Facebook-Feeds. Kann es sein, dass wir von all den Terroranschlägen der letzten Monate so abgehärtet sind, dass uns Nizza kaum noch berührt? Kann es sein, dass wir uns an den Terror in Europa gewöhnt haben?

Aber vielleicht tun wir dieser (virtuellen) Welt auch Unrecht. Vielleicht befinden sich die Leute noch in der Schockstarre, oder empfinden es einfach als unangebracht, Paris und Nizza auszutauschen wie ein abgetragenes Paar Schuhe. Ein kleiner Funken Hoffnung bleibt.

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Bildquelle: Alexis Brown unter CC 0 Lizenz