Alleingelassen-KO-Tropfen

K.o.-Tropfen: „Frauen wollen nicht wahr haben, dass sie betrunken sind“

„Mir hat jemand etwas in den Drink gemischt“, sagt Jane mit brüchiger Stimme. Sie kann sich kaum noch auf ihrem Stuhl halten. Um sie herum sind viele Menschen. Menschen in weißen Kitteln, die die Gänge des großen Gebäudes entlang laufen. Aber keiner scheint ihr so recht zu zuhören. Jane ist 19 Jahre alt, als sie stirbt.

Das ist die Geschichte von Jane Khalaf – oder jedenfalls die Geschichte, die die englischen Medien nach ihrem Tod veröffentlichten. Die Politik-Studentin der Northumbria University in Newcastle war nach einer Partynacht am 12. November 2014 ins Krankenhaus eingeliefert worden. Dort sagte sie, dass ihr jemand etwas in den Drink gemischt hätte. Doch die Ärzte führten zunächst keine Bluttests durch, berichtet der Huddersfield Examiner. Sie kollabierte noch im Wartezimmer. Erst später zeigten weitere Untersuchungen, dass die 19-Jährige Amphetamin und Ecstasy im Blut hatte. Ihre Eltern macht das wütend: Sie beschuldigen die Ärzte und die Polizei. Keiner habe etwas unternommen.

Dabei ereignete sich diese Tragödie keinesfalls in einem Land mit schwacher humanitärer Versorgung oder einem kränkelnden Gesundheitssystem. Sie ereignete sich hier bei uns in Deutschland. Genauer: im Kölner Marien-Hospital. Während uns Beratungsstellen unermüdlich dazu ermahnen, jeden Verdacht auf K.o.-Tropfen bei Ärzten und der Polizei zu melden, drängt sich damit eine wichtige Frage auf: Wird man als Opfer überhaupt ernst genommen? Oder schlicht als betrunken abgestempelt?

 

Geschmacklos, farblos, schwer nachzuweisen

 

„Unter dem Begriff „K.o.-Tropfen“ werden verschiedene Substanzen zusammengefasst, die anderen Personen unbemerkt verabreicht werden, um sie in einen wehrlosen Zustand zu versetzen“, fasst der Bundesverband für Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) zusammen. In den meisten Fällen werden die Substanzen Gamma-Butyrolacton (GBL) und Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB) eingesetzt – besser bekannt als „Liquid Ecstasy“. Beinahe geschmacklos im alkoholischen Drink, können die Tropfen schon kurz nach der Verabreichung zu sexueller Stimulation, Willenlosigkeit und Erinnerungsverlust führen, heißt es in einem Bericht des ZDF.

Und die Fälle häufen sich. Im vergangenen Jahr wachte eine junge Frau orientierungslos und mit zerrissenen Kleidern in einer Parkanlage auf, berichtete der Kölner Stadtanzeiger. In Soest betäubten zwei Männer eine 28-Jährige auf dem Weihnachtsmarkt, hieß es bei RTL Aktuell. Schlagzeilen wie diese lesen wir immer und immer wieder. Eine Untersuchung des bff aus dem Jahr 2007 zählte 270 Opfer – Männer wie Frauen. Doch vieles bleibt auch im Verborgenen. Die Dunkelziffer ist beängstigend.

Denn während man die Tropfen leicht und günstig im Internet bestellen kann, ist es schwer, sie nachzuweisen. Im Blut oder Urin sind sie nur acht bis zwölf Stunden zu finden. Zur Untersuchung müssen die Proben außerdem in ein externes Labor geschickt werden. All das sind Hürden im Umgang mit K.o.-Tropfen. Das häufigste Problem sind jedoch die Opfer selbst, berichtet der bff: Oftmals verwechseln sie den ungewollten mit dem gewollten Rausch – mit Alkohol, Gras und einem unschönen One-Night-Stand. Also beschuldigen sich selbst. Schämen sich. Schweigen. Jane Khalaf aber schwieg nicht. Ihr fehlte nicht der Mut, sondern der Zuhörer. Sie erzählte es ihren Freunden und den Ärtzen. Ohne Erfolg.

 

„Sie sagte, sie hätte Drogen konsumiert“

 

„Sie sagte, sie hätte Drogen konsumiert“, betont das Marien-Hospital auf Anfrage von ZEITjUNG.de und weist die Vorwürfe zurück: „Obwohl sie eigenständig laufen, auf Fragen klare Antworten geben und ohne besondere Auffälligkeiten reagieren konnte, wurde sie engmaschig überwacht. Nach vier Stunden traten Komplikationen wegen der Drogenintoxikation auf und kurz danach wurde sie in eine Spezialklinik für Neurochirurgie verlegt. Die Polizei wurde direkt nach Auftreten der Komplikationen über diesen Fall informiert und hat die Suche nach den Eltern aufgenommen.“ Auch die Oberstaatsanwaltschaft will, nach Angaben des Kölner Stadtanzeigers, von K.o.-Tropfen nichts wissen. Khalafs Eltern allerdings glauben das nicht. Ihre Tochter sei strikt gegen Drogen gewesen, sagten sie dem Huddersfield Examiner. Niemals hätte sie freiwillig etwas genommen.

Während damit nur schwer zu klären ist, auf welcher Seite die Wahrheit steht, lässt uns die Geschichte von Jane Khalaf zweifeln, ob deutsche Behörden Opfer von K.o.-Tropfen wirklich ernst nehmen. Tatsächlich häufen sich nicht nur die tragischen Geschichten von mit Drogen versetzten Getränken. Es häufen sich auch diejenigen Geschichten, die vom Unvermögen der Behörden erzählen. Und von der verzweifelten Suche der Opfer nach Wahrheit und Aufklärung.

 

Keiner macht mit einem betrunkenen Mädchen einen Drogentest

 

So wie Josefine W., von der das Magazin NEON im vergangenen Frühjahr berichtete. Wie Jane Khalaf war auch sie als Studentin zu Besuch in Deutschland, feierte ihren Bachelor-Abschluss in Berlin. Am nächsten Tag wachte sie auf – mit blauen Flecken, ihrem ersten One-Night-Stand und ohne Erinnerung. Als sie sich wieder an Details der Nacht erinnerte, ging sie zur Berliner Polizei. Dort nahm sie keiner ernst. Man stellte das Verfahren ein. „Die Verabreichung von K.o.-Tropfen schließen die Staatsanwältinnen aus, da sich Josefine an so vieles erinnert“, schrieb NEON. Aussagen, die erschreckend stark an das Statement des Kölner Marien-Hospitals erinnern.

Und auch eine Freundin der Autorin dieser Geschichte berichtet, sie habe sich nicht wirklich ernst genommen gefühlt, als sie eines Nachts in der Münchner Polizeistation saß. Ohne Geldbeutel. Ohne Schlüssel. Ohne Bewusstsein. Ja, sie habe einiges getrunken, gestand sie den Beamten. Schnell machte man einen Alkoholtest. Er war moderat. Als sie sagte, dass sie vielleicht K.o.-Tropfen im Getränk gehabt hatte, senkte sich die Geschwindigkeit der Beamten. Man erklärte ihr, dass sie das schon machen könne, aber dazu müsse man ja erst… Die wertenden Blicke verrieten ihr, dass hier keiner einen Drogentest mit dem betrunkenen Mädchen im Wartezimmer machen würde.

 

Was muss sich ändern?

 

Schuld an diesen Fehlleistungen ist, laut bff, unter anderem – Überraschung! – die Bürokratie in Deutschland. Sie dürfe einer kostenlosen und vorurteilsfreien Behandlung nicht im Weg stehen. Auf Veranstaltungen selbst soll das „Coffe-to-Go“-Prinzip bei Drinks der Gefahr einen Deckel aufsetzen. Am wichtigsten sei es aber, Polizisten und Ärzte weiterzubilden und zu sensibilisieren. Doch wie sollen solche Schulungen aussehen, wenn etwa das Fachmagazin „British Journal of Criminology“ schreibt: „Viele junge Frauen wollen einfach nicht wahr haben, dass sie betrunken sind?“

Immer wieder begeben wir uns in die Hände der Nacht, feiern gerne. Warum auch nicht? Aber wenn mal etwas passieren sollte, dann brauchen wir jemanden, der uns auffängt. Janes trauriger Fall könnte dafür endlich ein wichtiger Anstoß sein. Für sie selbst kommen diese Bemühungen zu spät. Jane hätte nicht sterben müssen. Als eine von wenigen Studenten ihrer Uni hatte sie das Privileg, einige Zeit in Deutschland zu verbringen. In Köln. Der Karneval hatte gerade begonnen.

 

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Bildquelle: Alyssa L. Miller unter CC BY 2.0