True Crime beschäftigt die Gesellschaft

True Crime: Der Kannibale von Hannover

TW: Der nachfolgende Text enthält Schilderungen massiver Gewalt.

Wieso mögen wir Halloween? Was gefällt uns an Horrorfilmen? Was an Kriminalromanen? Das Unheimliche hat eine ganz bestimmte Faszination auf uns. Vor allem Podcasts beschäftigen sich deswegen mit True Crime, also der Nacherzählung realer Kriminalfälle. Genug Stoff bietet die Geschichte nämlich allemal. True Crime ist aber mehr als eine gruselige Geschichte: Sie regt uns zum Nachdenken an und stellt uns oftmals vor ethische Fragestellungen, die es auszuhandeln gilt.

Es war 1918, kurz nach dem ersten Weltkrieg. Es herrschte Unordnung in Deutschland. Viele Menschen waren arbeitslos, heimatlos, verletzt. Vor allem an den Bahnhöfen sammelten sich diese Menschen, fanden hier eine Zufluchtsstätte. So auch in Hannover. Ein Mann nutzte diese Situation aus und machte den Hauptbahnhof von Hannover zum Schauplatz schrecklicher Verbrechen. Die Rede ist von Fritz Haarmann, dem Kannibalen von Hannover.

Alles begann damit, dass die Polizei von Hannover immer wieder Vermisstenanzeigen besorgter Eltern erhielt: ihre Söhne waren verschwunden. 1924, sechs Jahre später, entdeckten Kinder beim Spielen am Fluss Leine einen Schädel. In den nächsten Tagen tauchten 500 weitere Leichenteile von mindestens 22 Personen auf. Die Untersuchungen ergaben, dass sie alle von jungen Männern stammten. Vermutlich wurden sie mit einem Messer vom Körper abgetrennt. Die Polizei stand vor vielen Fragen: Was war passiert? Waren das die Schädel der vermissten Jungen von 1918? Und wer war verantwortlich für diese schrecklichen Morde?

Er tötete sie durch einen Biss in den Adamsapfel

Verantwortlich dafür war Fritz Haarmann, geboren am 25. Oktober 1979 in Hannover. Der Vater soll sehr streng zu ihm gewesen sein, während seine Mutter ihn verwöhnte. Sein älterer Bruder soll ihn außerdem sexuell missbraucht haben. Fritz Haarmann lebte nach seiner Schulzeit als Kleinkrimineller, hatte mit psychischen Problemen zu kämpfen und verbrachte den ersten Weltkrieg sogar im Gefängnis. Bereits als junger Mann wurde Haarmann wegen sexuellen Missbrauchs und „Unzucht an Knaben“ angeklagt. Der Polizei war er deswegen nicht unbekannt.

Haarmann trieb sich vor allem am Hauptbahnhof von Hannover herum. Denn der diente Obdachlosen, Arbeitslosen und elternlosen Kindern als Zufluchtsstätte. Von hier lockte er die Jungen und jungen Männer mit einem kostenlosen Essen zu sich nach Hause. Seine Opfer waren teilweise körperlich geschwächt, sodass sie sich kaum wehren konnten. Haarmann tötete die jungen Männer während des Sex durch einen Biss in den Adamsapfel. Anschließend zerstückelte er die Leichen mit einem Hackebeil und Kartoffelschälmesser und spülte sie im Klo herunter. Gerüchten zufolge soll er das Fleisch als essbare Ware verkauft haben. Das wurde jedoch nie geklärt. Die Leichenteile, die er nicht herunterspülen konnte, landeten in der Leine. Das wurde Haarmann zum Verhängnis, als die spielenden Kinder die Schädel schließlich fanden.

Fritz Haarmann

Die Ermittlungen – bis heute in der Diskussion

Die Polizei ermittelte in Richtung eines Serienmörders und vermutete einen homosexuellen Straftäter. Fritz Haarmann war zu diesem Zeitpunkt viel unterwegs. Im Juni 1924 geriet er am Bahnhof in einen Streit mit einem jungen Mann. Beide wurden von der Polizei festgenommen. Ein Polizist erkannte Haarmann. Schon 1918 stand er unter Verdacht, zwei junge Männer getötet zu haben. Die Ermittlungen führten damals zu keinem Ergebnis. Trotzdem war die Polizei jetzt hellhörig.

Während einer Durchsuchungsaktion seiner Wohnung, fand die Polizei Blutspuren und Kleidungsstücke junger Männer. Trotz der Hinweise reichten die Indizien nicht aus, Haarmann des Mordes zu überführen. Deswegen griff die Polizei zu unerlaubten Methoden: Die Polizei brachte in jeder Ecke von Haarmanns Zelle Bretter an, auf die Schädel platziert wurden. Die Augenhöhlen waren mit rotem Papier beklebt und wurden von hinten mit einer brennenden Kerze beleuchtet. In einer Ecke der Zelle wurde außerdem ein Sack mit den Gebeinen der Leichen aufgestellt. Haarmann wurde eingeredet, dass die Seelen der Toten ihn holen würden. Er wurde außerdem geschlagen. Am 1. Juli 1924 gesteht Haarmann schließlich. Am 15. April 1925 wurde er zum Tode durch das Fallbeil verurteilt. Haarmanns Kopf wurde der Wissenschaft zur Verfügung gestellt. Erst 2014 wurde er eingeäschert und anonym bestattet.

Auswirkungen des Falls Haarmann

Die Methoden der Polizei sind bis heute viel diskutiert. Die polizeilichen Vernehmungen kommen einer Aussageerpressung gleich, die schon 1924 nicht erlaubt gewesen wäre. Eigentlich hätte die Polizei Haarmann laufen lassen müssen. Ist es deswegen richtig, was die Polizei getan hat? Immerhin haben sie so einen Serienmörder fassen können. Wie lässt sich das Vorgehen moralisch einordnen? Das sind schwierige Fragestellungen, die es auszuhandeln gilt.

Der Fall Haarmann hatten nicht nur Auswirkungen auf die Opfer und ihre Angehörigen, sondern auch auf die Gesellschaft. Denn zu diesem Zeitpunkt wurde diskutiert, die Strafe für sexuelle Handlungen unter gleichgeschlechtlichen Erwachsenen aufzuheben. Haarmanns Morde trugen dazu bei, dass die Pläne verworfen wurden. Dokumente und Fotos aus den Polizeiakten im Haarmann-Fall finden sich im Polizeimuseum Niedersachsen.

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Bildquelle: kat wilcox von Pexels; CC0-Lizenz