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Türkei-Referendum: Auf eine Tasse Tee mit einem Erdogan-Anhänger

„Wahl für mein Land, nicht für Erdogan“

 

Und das alles reicht, um einen Mann wie Erdogan zu wählen? Esen meldet sich zu Wort: „Erdogans Bild hier ist viel schlechter als es sein sollte.“ Die Türkei sei unter ihm moderner geworden, unter ihm habe es große Fortschritte gegeben. Man wisse, dass er ein guter Anführer ist, dass er seine Macht nach dem Referendum nicht missbrauchen werde. „In der Türkei dürfen heute Frauen mit und ohne Kopftuch studieren. Vorher war das Frauen mit nicht gestattet.“

Alpay bestätigt: „In Deutschland ist alles, was nicht demokratisch ist, gleich schlecht.“ Dabei eröffne Demokratie auch vielen schlechten Menschen die Chance, ihre Ideen durchzusetzen. Die Türkei sei ohne Erdogan niemals dort, wo sie heute ist, betont Alpay, der gleichzeitig mit eindringlichem Blick und lauter Stimme betont, dass er keineswegs der Meinung sei, dass alles an Erdogan gut sei. „Auch das ist typisch Deutsch“, sagt er. „Alle Türken hier in Deutschland sind gleich verblendete Menschen, wenn sie Erdogan wählen.“ Er sagt, dass er verurteile, wenn Menschen eingesperrt werden, die unschuldig seien. Auch dass Deniz Yücel im Gefängnis ist, findet er „nicht gut.“

Aber auch bei diesem Punkt prangert er das Verhalten der Deutschen, von Menschen und Medien gleichermaßen, an: „Die Deutschen sind kluge Leute. Aber sie sind auch wahnsinnig arrogant. Sie denken immer, dass sie alles wissen.“ Genau aus diesem Grund gelte die „Terrororanisation PKK“ hier als rebellische Bastion gegen den Diktator, obwohl sie schlichtweg eine „verbrecherische Bande“ sei, die „gegen Gesetze verstößt“. Viele der Inhaftierten, die in Deutschland zu Unschuldigen gemacht werden, hätten gegen bestehendes türkisches Gesetz verstoßen. „In Deutschland bekommt man dann auch eine Strafe.“ Alpay ist jetzt in Fahrt. „Das hat auch nichts mit Kurden-Hass zu tun. Die Kurden haben in der Türkei die gleichen Rechte wie alle anderen auch. Die PKK kann man nicht mit den Kurden gleichsetzen, wie es hier viele machen. Denn die PKK sind einige wenige Verbrecher.“

Man merkt den Saglams an, wie sehr sie bemüht sind, mir gute Erklärungen anzubieten, wie sehr Alpay versucht, den Spagat zwischen dem Bild Erdogans in Deutschland und dem vieler Türken hinzubekommen, um eben nicht als verblendeter Fan eines Fanatikers abgestempelt zu werden. Von diesem Urteil aber bin ich weit entfernt, während Esen mir Tee nachschenkt und es draußen langsam dunkel wird. Denn Alpay ist ein Mann, der mitten im Leben steht, ein Realist – einer, der Ahnung von Politik hat, der über die Wirtschaft in Deutschland mehr weiß als ich. Und auch seine Frau ist eine kluge Mutter, deren scharfsinnige Bemerkungen mich immer wieder überraschen.

Dennoch gehe ich in die Offensive, konfrontiere die Saglams mit Erdogans Nazi-Vergleichen mit der geplanten Todesstrafe, mit den Gefahren eines autokratischen Herrschers. Ich konfrontiere sie mit dem anti-westlichen Kurs Erdogans. Alpay unterbricht mich. Nachdem Esen ihn genau dafür kritisiert, sagt er: „Diese Entrüstung über Nazi-Vergleiche gibt es nur in Deutschland. Wegen Hitler. In anderen Ländern fällt es viel leichter, einen Nazi-Vergleich zu machen.“ Dann legt er los, sagt, dass natürlich nicht alles gut sei, was Erdogan plane, dass er aber für Stabilität in der Türkei sorgen werde, dass er gewährleisten werde, dass das Land nicht im Chaos versinke. Und dass seine Wahl in erster Linie eine für sein Land sei und keine für Erdogan.

 

Erst reden, dann Meinung bilden

 

Später verabschieden wir uns. Alpay gibt mir die Hand und versichert sich, dass ich ihm seine Aussagen vor dem Veröffentlichen noch einmal zeigen und keine vollen Namen nennen werde, weil Deutschland „ein Land voller Vorurteile ist“. Ich richte Özi schöne Grüße aus, ziehe meine Schuhe im kleinen Flur mit einem Spiegel und einer Stange, an der Alpays Hüte hängen, an. Dann trete ich in den Münchner Frühlingsabend hinaus, laufe durch Giesing, an Dönerbuden und einem türkischen Laden vorbei.

Ich denke an Alpays Vorwurf des extremen Schwarz-Weiß-Denkens in Deutschland und muss ihm recht geben. Es mag legitim sein, Erdogan zu kritisieren, die Wahl am Sonntag als „Katastrophe“ zu betiteln. Wie viele Menschen in Deutschland sich aber Urteile bilden, ohne sich vorher zu informieren, wie viele oberflächlich einordnen, obwohl ein jedes Urteil eigentlich einer vielschichtigen Bildung desselben bedarf.

Ich finde Erdogan nach dem Treffen mit den Saglams noch immer furchtbar, kritisiere noch immer seine Ziele, seine Methoden, seine Rhetorik. Dennoch sehe ich ihn mit anderen Augen, verstehe nun viel besser, warum ihn viele wählen, dass er wie jeder andere auf diesem Planeten kein durchweg schlechtes, monsterähnliches Wesen ist, sondern ein Mensch. Und ich verstehe viele Deutschtürken nun besser. Verstehe, dass sie voll und ganz angekommen sind in Deutschland und sich doch nicht voll und ganz zu Hause fühlen. Auch wenn es, ganz anders als die Saglams, sicher auch viele fanatische Fans Erdogans geben mag, die sich um Demokratie und Menschenrechte einen Dreck scheren, weiß ich, als ich die Treppe zur U-Bahn hinunter fahre, dass es dennoch auch viele wie die Saglams gibt.

Am gleichen Abend schreibe ich Özi. „Sag‘ Deinen Eltern, dass ich mich für das Gespräch bedanke und dass ich viel gelernt habe“, tippe ich. Und wünsche mir im gleichen Moment, ihnen persönlich zu sagen, dass ich Erdogan zwar noch immer aufs Schärfste verurteile, aber dennoch auf einiges eine andere Sicht habe. Weil ich mit den Menschen gesprochen habe, anstatt Meinungsbildung ausschließlich durch Zeitungen, das Internet oder Hörensagen anderer zu betreiben. Etwas, das viel mehr Menschen machen sollten. Alle Menschen. Egal ob rechts, links, Mitte, unten, oben, vorne, hinten.

*Information der Redaktion: Das Gespräch fand bereits vor dem Ergebnis des Referendums statt. Einige Aussagen bezogen sich also auf einen möglichen Ausgang, nicht auf den bereits geschehenen. Der Autor schrieb Özi nach der Wahl bei WhatsApp und erkundigte sich nach Alpays Reaktion. Sein Vater sei nicht wirklich glücklich, sondern noch am Sonntagabend joggen gegangen, so Özi. Das habe er seit Jahren nicht gemacht.