Sexuelle Belästigung in der Tattoo-Szene: Wenn Tätowierer zu weit gehen

In den vergangenen Wochen ereignete sich ein Vorfall auf Instagram, der zunehmend an Aufmerksamkeit gewann: Ein angesagter Vintage-Laden lud einen vermeintlich übergriffigen Tätowierer als Gast in den Store ein. Diese Aktion löste eine Abfolge von Anschuldigungen aus und entfachte eine breite Debatte über sexuelle Übergriffe in der Tattoo-Szene.

Triggerwarnung: sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch

Disclaimer: Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Meinungsbeitrag, der subjektive Standpunkte der Autorin enthält.

Für viele Menschen ist es einer der aufregendsten Momente: das erste Tattoo. Ein Ereignis, das wortwörtlich unter die Haut geht. Das Motiv, das wir uns aussuchen, bleibt für immer – und unser Tattoo Artist begleitet uns dabei. Ein Tattoo gestochen zu bekommen macht einen verletzlich und basiert auf großem Vertrauen gegenüber dem Artist. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass Studio und Tätowierer*in für uns einen Safe Space darstellen und uns trotz Aufregung und Unerfahrenheit durch das Erlebnis begleiten können. Leider gibt es jedoch einige Tattoo Artists, die sich die Nervosität und Verwundbarkeit der Kund*innen zunutze machen und übergriffig werden.

Was ist passiert?

Anfang August veröffentlichte ein beliebter Vintage-Store, der rund 13.000 Abonnent*innen zählt, ein Reel auf Instagram. In diesem wurde unter anderem ein Gasttätowierer im Popup-Store vorgestellt. Was zunächst wie ein normales, trendiges Video schien, wandelte sich rasch in eine große Kontroverse und löste eine Welle an Kritik aus. Diese Kritik wurde anfangs gezielt entfernt und später komplett deaktiviert. Der Hintergrund des Shitstorms besteht darin, dass der Gasttätowierer bereits im Jahr 2021 mit mehreren Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe und Machtmissbrauch an Kund*innen konfrontiert wurde. Einige der Frauen die sich damals und heute zu Wort meldeten, seien sogar minderjährig gewesen.

Viele Tätowierer*innen brachten Statements in Form von Stories und Posts zu dieser Thematik und forderten den Vintage-Store auf, Stellung zu beziehen. Außerdem wurden diverse Erfahrungsberichte von Betroffenen gesammelt und über die Instagramseite @keinsafespace_de veröffentlicht. Viele der Erfahrungen beziehen sich dabei mutmaßlich auf denselben Tätowierer. In einem Erfahrungsbericht heißt es: „[…] hatte damals in seinem alten Studio an der Wand über der Tattooliege Polaroids hängen, die ihn beim Sex mit seinen Kund*innen zeigen.“ In einem weiteren Bericht steht: „[…] hat Minderjährigen Tattoos gegen Sex versprochen. Wenn Girls nicht genug Budget für das Tattoo hatten, hat er es gegen orale Befriedigung vergünstigt gestochen.“

Das Vintage-Store-Team löschte daraufhin das Reel und antwortete mit einem brüchigen Statement-Video, in dem sie schilderten, dass sie den „schwierigeren Weg“ gewählt hätten und mit dem kontroversen Tätowierer nach den Anschuldigungen in Kontakt blieben. Wenig überraschend folgte auf diese Aussage der nächste Shitstorm. Einige Kommentare vermuten, dass die Chefin des Stores mit dem Tätowierer zusammen ist und er, trotz angeblicher Einsicht seitens des Store-Teams, im Hintergrund weiter supportet wird.

„Ich habe mich mit 15 – 16 von ihm am bauch tätowieren lassen und sollte mich dafür komplett oberkörperfrei machen.“

unbekannt, instagram

So kannst du dich vor übergriffigen Tätowierer*innen schützen

Die ganze Situation führte schlussendlich dazu, dass nun mehr über grenzüberschreitendes Verhalten von Tattoo Artists gesprochen wird. Es gibt sogar ganze Blacklists an Tätowierenden, die in der Vergangenheit Kund*innen belästigt haben sollen. Die oben genannte Instagram-Seite motiviert Betroffene dazu, weiterhin ihre Erfahrungen zu schildern. Um euch vor potenziell übergriffigen Artists zu schützen, könnt ihr folgendes tun:

Die passende Kleidung für das Tattoo: Für manche Tattoos muss man sich etwas ausziehen. Aber es gibt keinen Grund, sich komplett oberkörperfrei für ein Tattoo auf dem Oberarm zu machen. Du solltest auf keinen Fall ein Kleidungsstück ablegen, wenn du dich dabei unwohl fühlst. Sprich dein Unwohlsein an oder überleg dir im Vorhinein, welche Kleidung du am besten tragen kannst. Beispielsweise ein Tanktop für den Oberarm, oder eine kurze Sporthose für den Oberschenkel.

Fotos von dem Tattoo: Dasselbe gilt für die Fotos nach der Session: Lass dich nur so fotografieren, wie du dich damit wohl fühlst. Verdecke sensible Stellen und lass dir gegebenenfalls die Bilder zeigen. Natürlich musst du dich auch nicht fotografieren lassen, wenn dir nicht danach ist.

Lass dir keine Anmachsprüche oder ähnliches gefallen: Egal ob beim Optiker, beim Hausarzt oder beim Friseur – das Eindringen in die Privatsphäre oder grenzüberschreitendes Verhalten, bei dem Dienstleistungen gegen Sex vergünstigt angeboten werden, ist völlig daneben. Warum sollte es also im Tattoo-Studio okay sein? Richtig; ist es absolut nicht. Und das musst du dir nicht gefallen lassen.

Mehr Tipps findest du hier.

Hilfe für Betroffene

Falls du bereits Erfahrungen mit grenzüberschreitenden oder belästigenden Tattoo Artists machen musstest, dann bist du damit nicht alleine.

Hilfetelefon bei sexualisierter Gewalt: 0800 30 50 750

Außerdem gibt es in so gut wie jeder Stadt Tätowierer*innen, die dir ein kostenfreies Cover-Up anbieten. @keinsafespace_de hat diese in den Story-Highlights zusammengefasst. Wenn du möchtest, dass deine Geschichte geteilt wird, kannst du der gleichen Instagram-Seite eine DM schicken und zusammen kann die Szene dafür sorgen, dass Awareness geschaffen wird. Zögere auch nicht, Anzeige zu erstatten. Denn jede Form von sexualisierter Gewalt ist ein absolutes No-Go und strafbar.

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Bildquelle: cottonbro studio via Pexels; CC0-Lizenz