Ukrainekrieg: Stimmen des Widerstands, Gesichter des Mutes
Der Widerstand beginnt oftmals im Kleinen: Wenige Menschen können Großes bewegen. Aber vor allem in Russland braucht es da einiges an Mut, denn es steht viel auf dem Spiel. Trotzdem gibt es sie: die Stimmen des Widerstands, die Gesichter des Mutes.
Künstlerin Yevgenia Isayeva
Die Künstlerin stellte sich am Sonntag, den 27. März, ganz allein auf die Stufen der Stadtverwaltung in St. Petersburg. Isayeva trägt ein weißes Kleid und ist von Kopf bis Fuß übergossen mit Kunstblut. Zu ihren Füßen liegt ein Banner mit einem Antikriegsapell. Niemand solle das Blutvergießen in der Ukraine unterstützen. „Mein Herz blutet, sagt sie ununterbrochen auf. Auch, als sie kurze Zeit später von der Polizei abgeführt wird. Welche Strafe ihr nun droht, ist nicht bekannt. Aber den Krieg öffentlich zu kritisieren, ist in Russland nicht erlaubt.
Russische Astronauten auf der ISS
Drei russische Astronauten landeten vor zwei Wochen auf der internationalen Raumstation ISS. Bei ihrer Ankunft im All trugen sie leuchtend gelbe Anzüge mit vielen blauen Aufnähern. Die Farben erinnern an die ukrainischen Nationalfarben. Später erklärte die Crew jedoch, dass es sich dabei um Zufall handle. „Wir sollten eine Farbe auswählen. Tatsächlich hatten wir eine Menge gelbes Material angesammelt, das wir verwenden mussten“, erklärten sie. Ob es sich dabei wirklich um Zufall handelt oder doch um eine Solidaritätsbekundung an die Ukraine, wird wohl offenbleiben.
Journalistin Marina Owsjannikowa
Die russische Journalistin hatte sich während einer Live-Sendung des staatlichen TV-Senders Kanal Eins mit einem handgeschriebenen Plakat hinter die Moderatorin gestellt. „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen“, war darauf zu lesen. Mehrmals rief sie: „Nein zum Krieg!“ Nach wenigen Sekunden schaltete der Sender zu einem Videobeitrag. Ein Gericht in Moskau verurteilte sie zur Zahlung von 30.000 Rubel. Obwohl Owsjannikowa sich selbst nicht für einen besonders politischen Menschen gehalten hat, habe sie sich nach eigenen Angaben zu der Aktion verpflichtet gefühlt. „Jedem normalen denkenden Menschen in Russland war nach dem 24. Februar bewusst, dass er nicht mehr so wie früher weiterleben kann“, sagte sie.
Abgeordnete Helga Pirogowa
Zu einer Sitzung im Rat des sibirischen Nowosibirsk erschien Pirogowa in blauer Bluse und mit gelbem Blumenkranz im Haar. Im Gremium wurde sie angeschrien und dazu aufgefordert, die Sitzung zu verlassen.
Priester Ioann Burdin
Burdin ist Priester im kleinen Dorf Karabanowo. In einer Predigt spricht er davon, dass Blutvergießen und das Töten von Brüdern und Schwestern inakzeptabel sei. Ein Gemeindemitglied meldete sich bei der Polizei, woraufhin Burdin angezeigt und stundenlang polizeilich verhört wurde. Laut dem Gerichtsprotokoll werde ihm vorgeworfen, dass er den Gemeindemitgliedern öffentlich Informationen über den Angriff der russischen Streitkräfte auf die Ukraine gab und die Länder zum Frieden aufrief. Burdin sagte: „Natürlich wollte ich keinen Prozess, keine Geldstrafe oder all diesen Rummel. Aber vielleicht ist diese Geschichte eine Chance des Herrn, dass meine Worte nicht nur von meinen Gemeindemitgliedern gehört werden.“ Das Gericht sprach Burdin am 10. März schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 35.000 Rubel. Am 11. März war über die Webseite der Gemeinde bereits mehr als genug Geld gespendet worden, um die Strafe zu bezahlen.
Großmutter des Widerstands
Jelena Ossipowa ist 77 Jahre alt, Aktivistin und Künstlerin. Sie stand schon früher für politische Gefangene oder die Meinungsfreiheit auf der Straße. Jetzt geht sie gegen Putins Krieg auf die Straße. In einem Interview für BBC erklärte Ossipowa, sie habe aus Schock über den russischen Überfall auf die Ukraine zunächst drei Tage lang nichts essen können. Dann sei sie aus Wut auf die Straße gegangen. Bislang ist sie mindestens dreimal festgenommen worden – das letzte Mal am 13. März. Ossipowa ist hartnäckig und mittlerweile nicht mehr unbekannt. Die gebrechliche alte Frau, die von schwerbewaffneten Sicherheitskräften abgeführt wird, wurde zum Symbol für Gerechtigkeit. Deswegen wird sie in russischen Medien auch „das Gewissen von St. Petersburg“ genannt.
Digitaler Protest
Aktivist*innen verbreiten Informationen über den Krieg in Rezensionen von Restaurants und Geschäften. So können sie die russische Zensur umgehen und die Bevölkerung informieren und zum Protest aufrufen. Der Aufruf dazu kam von Anonymus. So könnte eine Review aussehen:
„Das Essen war großartig! Leider hat uns Putin mit dem Einmarsch in die Ukraine den Appetit verdorben. Widersetzen Sie sich ihrem Diktator, damit ihr Land aufhört, unschuldige Menschen zu töten! Ihre Regierung belügt Sie. Stehen Sie auf!“
Die Aktion von Anonymus wurde zehntausende Male retweetet. So werden nicht nur Informationen vermittelt, sondern auch Bilder verbreitet. Zwischen Aufnahmen von Bars und Restaurants tauchen auf Google nun Bilder von zerbombten Häusern und Zerstörung auf.
Putin ist nicht Russland
Diese Beispiele zeigen: es gibt viele Menschen, die sich gegen den Krieg stellen. Auch viele Russ*innen haben den Mut, sich aufzulehnen und laut zu werden. Sie verdienen besondere Beachtung, denn Putin ist nicht Russland und Russland nicht Putin.
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