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Über die blinde Sehnsucht, in eine neue Stadt zu ziehen

Der Plan des Umzugs in die neue Stadt ist etwas grundlegend Verheißungsvolles: All die Träume, die wir uns sorgsam wie Architekten zu einem perfekt ausgefuchsten Gebilde der Hoffnung bis hoch in die verdammten Wolken gebaut haben, glänzen im Sonnenschein unserer Vorstellungskraft. Unser Leben in der neuen Stadt soll geil werden, jau! So geil, dass wir nicht müde werden, uns sicher zu sein, dass dort ein „Rund um Paket“ für uns bereit liegt, zur Abholung schön verpackt: Eine tolle Wohnung oder WG, ein spannender Masterstundenplan, ein interessanter Job, der uns nicht so ausmergelt wie der Job davor. Umwickelt ist unser Päckchen der Idylle mit vielen neuen Freunden, lauten Clubnächten und natürlich der Liebe, die ihre tapsige Hand in unsere legt und uns begleitet. Ja, so soll es sein an unserem neuen Ort, den wir uns sorgsam ausgesucht haben.

Was aber, wenn da nichts wartet außer Hoffnung?

Nun ist es ja aber auch so: Nicht immer ziehen wir mit einem bestimmten Grund an neue Orte. Oft wissen wir eigentlich nicht, was am neuen Ort der Plan ist. Denn nicht immer haben wir bereits ein Job- oder Wohnungsangebot, diesen einen triftigen Grund, der rechtfertigt, am aktuellen Ort die Zelte zu räumen. Manchmal ist der einzige Grund, den Fuß in neue Gefilde zu setzen, die Sehnsucht. Das Sehnen nach mehr als das, was wir um uns haben.

Und das kann so vieles sein: Wir meinen vielleicht, unsere Stadt sei nicht groß genug. Oder eben nicht übersichtlich, die Wege zu lang, die Freunde zu weit weg. Vielleicht denken wir, der passende Job kann uns hier nicht angeboten werden. Die Sperrstunde unserer Clubs ist zu früh. Die Mieten zu hoch, die Zimmer zu klein, die Häuser zu hässlich. Die Politik zu schwarz, die Sonnenstunden zu wenig, die Gehälter zu gering. Es gibt so viele Gründe, zu meinen, das Gras sei ein paar Hundert Kilometer weiter saftiger und schöner anzusehen als auf unserem eigenen, vermeintlich trockenen Feld des Lebens.

Unsere Stadt der Entfaltung

Die Orte unsere Begierde sind nicht selten mit einem bestimmten Bild assoziiert: Berlin, die laute Stadt des ewigen Feierns und der unendlichen Kreativität. Hier können wir endlich so werden, wie alle gleich aussehenden Instagram-Accounts es uns vorleben. So, wie wir vielleicht schon immer mal aussehen wollten. Hamburg, die hippe Stadt der Bewegung, des Auftstandes und der zahlreichen Verlage, die uns das Leben lesenswerter machen. Leipzig, die Stadt, in der Wohnraum unter Stuckdecken und Kronleuchtern noch erschwinglich ist. München, die leuchtende Stadt der Sauberkeit, wo wir vor 12 Uhr mittags im schicken Kleid schon einen Liter Bier in uns reinkippen können, ohne dass jemand guckt. Diese Bilder versuchen wir mit unseren eigenen Vorstellungen von uns selbst in Einklang zu bringen. Finden wir uns in einem dieser Entwürfe wieder, wissen wir: das ist unser Ort. Da liegt unsere Perle, das gute Leben und das saftige Feld der Träume.

Wir sind bereit dazu, unsere Heimat, unsere Freunde und Familie hinter uns zu lassen und straight unserem Zukunfts-Ich entgegen zu marschieren. Dahin, wo es gut wird. Also nicht gut, sondern noch besser! So gut, dass es die Kirsche auf der Sahne auf dem Eisbecher, der unser Leben ist, sein wird. Was wir dabei aber ständig auf der Schulter sitzen haben? Die Angst. Die Unsicherheit. Das Unverständnis über die eigene Sehnsucht. Denn zwischen all den Träumereien und Plänen ploppt auch immer wieder diese eine Frage auf: Warum genau mache ich das? Was genau suche ich eigentlich?

Unsicherheit über die Sicherheit

Und da beginnt sie, die Unsicherheit über die Sicherheit. Denn im sicheren Hafen befinden wir uns aktuell. Dieser Hafen beherbergt unsere Freunde, die vertrauten Radwege, unsere Clubs und Lieblingsorte, die schönsten Liegeplätze am See und das Wissen über das billigste Bier der Stadt. Gehen wir von hier weg, müssen wir unser Blatt wieder neu beschreiben – denn noch ist da nichts drauf. Dieses leere metaphorische Blatt Papier ist oft Chance und verkörperte Angst zugleich – denn was ist, wenn wir keinen tollen Job finden, die WG eine Katastrophe wird und die Arbeitskollegen nicht so sympathisch sind, wie erhofft? Was ist, wenn wir nach sechs Monaten merken: Shit! Wären wir doch nur im sicheren Hafen geblieben, anstatt das Boot ins Meer der Ungewissheit zu schippern. Was ist, wenn wir einfach nur wieder zurück wollen?

Die Antwort ist einfach: Dann gehen wir halt wieder zurück. Denn garantiert werden uns die Menschen der Heimat wieder mit offenen Armen empfangen, uns versichern, dass wir keinen Fehler gemacht haben, nur weil wir mutig waren. Denn wären wir nie gegangen, dann hätten wir es nie erfahren. Es hätte uns das ganze Leben lang gegrämt, dass wir nicht diesem Bauchgefühl nachgezogen sind.

Denn auf dem Arsch der Bequemlichkeit lässt es sich gut verweilen – aber da lernen wir nichts über uns. Erst, wenn wir das vertraute Gebiet verlassen, können wir uns in Extremsituationen ausprobieren. Also sei mutig, zieh in die Stadt, in der du noch keinen Job und keine Wohnung hast. Wahrscheinlich wird es trotzdem gut!

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Photo by Andi Rizal on Unsplash