Universität 4.0: So könnte es in einigen Jahren an Hochschulen aussehen

Die Universität von morgen: Noch ist sie reine Phantasie, doch einige Zeichen deuten auf eine nicht allzu geringe Wahrscheinlichkeit hin, dass sie sich digital, vernetzt und umstrukturiert zeigen wird. Die Digitalisierung macht vor nichts Halt – natürlich auch nicht vor der Bildung. Ist mein Job noch der richtige? Wird sich die Schule und das Lernen bemerkenswert verändern? Schon in einigen Grundschulen lernen Schülerinnen und Schüler heute etwa mit Tablets und digitalem Stift. Das Elektronische hat das Analoge ersetzt, der Touchscreen die Kreidetafel. Auch die digitalen und hochmodernen Angebote und Möglichkeiten an Universitäten nehmen zu. Wir wollen heute einen Blick in die Zukunft wagen und uns anschauen, wie die Hochschule 4.0 aussehen könnte, die es in ähnlicher Form mitunter vielleicht schon in einigen Jahren geben wird.

 

Onlineuniversitäten – Keine Randerscheinung

Wilhelm von Humboldt, von dem zumindest der ein oder andere Germanistik- oder Philosophiestudent schon einmal gehört haben dürfte, hatte sich immer gewünscht, dass möglichst viele Menschen Zugang zu Bildung hätten. Mit diesem Wunsch war und ist er natürlich nicht alleine, scheinen viele Probleme dieser Welt doch wenigstens teilweise auch auf ein extremes Bildungsgefälle zurückzuführen sein. Die Digitalisierung der Universitäten hätte Humboldt sicherlich gefallen und vielleicht sogar genau seinen Vorstellungen entsprochen.

So könnten Technologieunternehmen in naher Zukunft Studenten dabei behilflich sein, eigenständiger und selbstregulierter zu studieren. Etliche Millionen Studentinnen und Studenten studieren schon jetzt an Online-Hochschulen. Milliardengelder flossen bereits und fließen noch immer vor allem in den USA

in die sogenannten „Education-Technology-Start-ups“. All diese Unternehmungen und Initiativen haben das Ziel, möglichst viele unterschiedliche Menschen digital zu erreichen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich eben im Digitalen weiterzubilden oder zu studieren.

Die Unterrichtsform in derlei Fern- und Onlineuniversitäten verlagert sich dementsprechend selbstverständlich vom Vorlesungssaal oder den Kursräumen ebenfalls ins Digitale. In großen Sälen kommen mitunter einige hundert Studenten unter, im Internet ist die Anzahl der „Sitzplätze“ im Grunde unbegrenzt. Virtuelle Klassenzimmer, Vorlesungsvideos, statt Live-Vorlesungen, digitalisierte Bücher, statt Bibliotheken – das könnte die Zukunft sein oder zumindest eine Alternative zu „realen“ und persönlich betretbaren Universitäten.

 

MOOCs

Gerade für all diejenigen, die neben dem Studium etwa noch einen Nebenjob haben oder aus jeglichen anderen Gründen zeitlich stark beansprucht sind, können Fernstudien und Onlinekurse eine praktische Alternative zum herkömmlichen Unialltag darstellen. So jedenfalls die allgemeine und weit verbreitete These. Doch auch das Fernstudium hat nicht nur Vorteile, wie Studenten, die sich für ein solches entschieden haben, immer wieder berichten. Gerade im ersten Semester fällt es Onlinestudenten oft schwer, sich zurechtzufinden. Wer dagegen auf einem Campus unterwegs ist, kann sich einfach an Kommilitonen oder ältere Studierende wenden. Am Beispiel der MOOCs zeigt sich außerdem, dass das digitale Lernen und Abschließen eines Studiengangs auch nicht ganz so einfach zu sein scheint, wie oft angenommen.

MOOCs stellen sozusagen den Superlativ der digitalen Vorlesung dar. Die ersten, die einen kostenlosen MOOC anboten, waren die beiden Professoren Sebastian Thrun (Stanford) und Peter Norvig (University of Southern California/ heute bei Google). Am Kurs „Einführung in die künstliche Intelligenz“ nahmen

mehr als 160.000 Menschen aus knapp 200 Ländern beteiligten sich und schrieben dieselben Prüfungen wie die Studenten auf dem Campus.

Gelernt wurde mit Hilfe von Videos, Quiz und in Foren und Blogs, wo die Inhalte von Vorlesungen online mit den Professoren diskutiert werden konnten. Außerdem wurde so eine Ausgangsplattform für den Austausch der Inhalte unter Kommilitonen und für gemeinsames Lernen geschaffen. Und ein Internetanschluss gilt und galt als einzige Voraussetzung – hohe Studiengebühren, harte Auswahltests und der Präsenzzwang zu fester Zeit an festem Ort zu sein oder zu lernen, fielen weg. Das Fachwissen war plötzlich nicht mehr nur Studenten von Eliteuniversitäten vorbehalten.

Doch Sebastian Thrun selbst musste feststellen, dass mit MOOCs die Leute nicht so ausgebildet werden, wie er und die Studierenden sich das so vorgestellt haben. Von den 160.000 Teilnehmern an seinem ersten MOOC nahmen nur knapp 23.000 am Abschlussexamen teil. Hinzu kommt, dass die Abbrecherquote bei MOOCs extrem hoch ist. Thrun bemerkt dazu:

„Die Überraschung mit den MOOCs war in der Tat, dass es fast keiner bis zum Ende schafft. Da gibt es sicherlich viele Gründe: Es ist sehr leicht, sich einzuschreiben, sehr viel leichter, als in der Uni. Das heißt, die Motivation bis zum Ende zu bleiben ist geringer. Aber dazu kommt, dass das Lernen nicht nur online stattfindet, also dass man nur auf Onlinevideos zugreift. Lernen ist so viel mehr. Fürs Lernen ist es wichtig, dass man Feedback hat, dass man menschlichen Kontakt hat, dass jemand (einem) an der Seite steht und einem hilft. Und das machen MOOCs halt nicht.“

Gerade menschlicher Kontakt und das persönliche Mentoring durch Lehrpersonal scheinen also wichtig zu sein. Bildung vollkommen durch Computerprogramme ersetzen zu können hingegen, wird vorerst ein Mythos bleiben.

 

Gemeinsam und vernetzt lernen

Beim Gedanken an smarte und vernetzte Städte und öffentliche Einrichtungen ist nicht jeder junge Mensch begeistert, wird doch oft an den gläsernen Menschen und an Überwachungsdystopien gedacht. Doch die vernetzte und smarte Umwelt und Gesellschaft ist längst schon im Entstehen und muss vor allem auch nicht immer negativ verstanden und bewertet werden. Was etwa die Wohnsituation von Studenten angeht, profitieren diese mitunter von den Chancen, die sich im Wohnbereich in Zukunft auftun könnten. Und zwar gerade auch in Bezug auf gemeinsames und vernetztes Lernen.

Noch sind es Gedanken, die ein wenig utopisch scheinen, doch die Herausforderungen, die wachsende Groß- und Universitätsstädte an die Bürger sowie Architekten, Stadtplaner und Studenten der Zukunft stellen werden, erlauben Spekulationen über das Studieren und Lernen 4.0. So könnten zukünftig Wohnkonzepte realisiert werden, bei welchen Studenten gleicher oder ähnlicher Fachrichtungen in smarten Wohnheimen zusammenkommen. Hier könnte sich, mit Hilfe digitalisierter Lernfortschritte und vernetzter Computer und Systeme, an und mit denen gearbeitet wird, gegenseitig besser geholfen werden. Das gemeinsame und vernetzte Lernen würde einfacher, als es derzeit noch der Fall ist. Denn so würde sich das Digitale mit dem Realen vermischen und auch der persönliche, soziale Kontakt wäre abgesichert.

Insgesamt verraten die Tendenzen des E-Learnings, das diesem eher eine ergänzende, als ersetzende Funktion zukommen wird. Gerade auch all diejenigen, die nicht in Großstädten wohnen und eine längere Anreise zum physischen Ort der Hochschule haben, bietet das Lernen online große Vorteile. Es kann hier vor allem ergänzend zur Präsenzvorlesung und zur Vorbereitung auf Klausuren genutzt werden. Und dabei besteht der ständige Kontakt zu Kommilitonen, um sich abzusprechen und schließlich zu geregelten Terminen zur Hochschule selbst zu erscheinen und sie als Ort der Interaktion und des kollaborativen und praktischen Arbeitens zu nutzen.

 

Individuelle Kurse, keine Noten…

Es scheint also klar: Das Universitäre verlagert sich immer mehr ins Digitale. Verschwinden wird der physische Ort der Hochschule jedoch aller Wahrscheinlichkeit nicht. Er verändert sich aber voraussichtlich in vielerlei Hinsicht. Gleiches gilt für das System, nach dem gelehrt, bewertet und organisiert wird.

  • Eine Datenanalyse in großem Rahmen könnte Universitäten in Zukunft dabei helfen, Studierende besser zu beraten. So lässt sich durch Big Data ermitteln, welche Vorlesungen und Seminare im individuellen Fall empfehlenswert wären. Gezielte Software –, die es in ähnlicher Form bereits auch an manchen Universitäten gibt – würde dazu etwa Vergleiche bislang belegter Veranstaltungen und Prüfungen mit der Leistung ehemaliger Studenten anstellen. Werden dabei sowohl die Studienordnung, als auch spezielle Faktoren, die den Studierenden betreffen, wie etwa Arbeitstage oder Ähnliches beachtet, könnte die Software gewisse Wahrscheinlichkeiten halbwegs präzise berechnen. Studierende wüssten dann etwa, wie wahrscheinlich es ist, unter den individuellen Voraussetzungen einen Kurs zu bestehen. Das kann Kosten, Zeit, Stress und Aufwand sparen. Stundenpläne würden außerdem eventuell nicht nach vorgeschriebenen Modulen, sondern eben auf den einzelnen gemünzt, passend erstellt werden.
  • In jenes Konzept des individuellen Lernens passt auch das Konzept der Notenfreiheit. Seit Jahren schon behaupten viele Wissenschaftler und Experten, dass Bewertungssysteme mit Noten nicht mehr zeitgemäß sind. Sowohl für Schüler, als auch Studierende, gelte: Noten lenken die Motivation weg vom Spaß am Lernen. Selbst, wenn Dozenten und Professoren Arbeiten kommentieren und Verbesserungen anzeigen, können sich die meisten Studierenden am Ende nur noch an die Note, eine leere und nicht weiterhelfende Zahl, erinnern. An der Hochschule 4.0 könnten Noten daher auch der Vergangenheit angehören. Der Fokus bei der Bewertung und Beurteilung von studentischen Leistungen läge mehr darauf, zu schauen, wo Verbesserungspotenzial besteht, welche individuellen Kompetenzen gestärkt werden müssen usw. Und im Zeugnis würde schließlich dokumentiert, mit welchen Fragen und Themen der Studierende sich beschäftigt und welche Kernkenntnisse er dabei erlangt hat.
  • Selbst in seit Jahrzehnten streng geführten, hierarchischen Großunternehmen betonen Manager, Führungskräfte und Personaler immer mehr den Wert, kreativer, andersdenkender, Berufseinsteiger. Damit an Universitäten Studierende heranwachsen können, die derlei Kreativität und Selbstständigkeit mitbringen, müssen Umstrukturierungen im Lehrsystem stattfinden. Feste Modulpläne sind dann Fehl am Platz. Ähnlich steht es um strenge Fristen und etwa auch Studienmodelle, wie das Bachelor-Master-System. Studierende müssen Zeit haben, sich zu entfalten und erst zu entdecken, womit sie wohin möchten.Die Universität könnte, um das zu unterstützen, ein Raum der Diskussion, der gemeinsamen Erkundung ohne Sanktionen und ohne moralische Rigidität werden, ein Ort sozialer Entwicklung. Der aber eben auch global, divers und digital auf einem gesunden Level funktioniert, um jedem – egal ob klassischem Studierenden, Berufstätigen oder Migranten – die Möglichkeit zu geben, einen Abschluss zu erlangen.

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