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Umzug: Kann eine Stadt wie München jemals Heimat sein?

Auf der Suche nach einer neuen Heimat habe ich vor anderthalb Jahren meine Koffer gepackt und bin einmal quer durch die Republik nach München gezogen. München gilt als ein Ort, an dem es nicht leicht sei anzukommen. Bei einem Absacker in der nächstgelegenen Kneipe erklärte mir ein Barkeeper zwischen überteuerten Wodka-Soda-Runden, man müsse München anderthalb Jahre geben, anderthalb Jahre um sich wohl zu fühlen. Das habe ich nun getan. Hier mein Fazit:

Home is where the Heart is

München hat mich gelockt mit der oberflächlichsten Eigenschaft, die eine Stadt zu bieten hat: Schönheit. Vor allem im Sommer ist München die Stadt in Deutschland, die dem Begriff Urlaub wohl am nächsten kommt. Dazu kam das uns allen sehr bekannte Fernweh, der unabdingbare Drang etwas Neues zu erkunden, an einem anderen Platz etwas zu finden, was es „zu Hause“ nicht gibt. Obwohl ich die Fähigkeit besitze, mich sehr gut an neuen Orten zurechtzufinden, fand ich hier zunächst Heimweh, jene ungewohnte Empfindung, die mich dazu antrieb so viele Wochenenden wie möglich in der alten Heimat zu verbringen. „Home is where the heart ist“ prangte in großen Lettern über meinem Kopf, während ich Koffer ein- und wieder auspackte.

Was verbindet uns mit Zuhause?

Doch was genau ist dieses Heimweh, das mich immer dann traf, als etwas grad nicht so lief. Sind wir wirklich so globalisiert, dass uns für alle Schwierigkeiten immer ein easy way out zur Verfügung steht, der uns zumindest geographisch von unseren vermeintlichen Problemen wegführt? Und wenn wir dann abreisen (hinfort oder wieder zurück) gewinnen wir Freiheit – oder sperren wir uns nur noch mehr ein im Käfig unserer eigenen Unzulänglichkeiten? Was verbindet uns mit unserem Zuhause? Ist es Sprache, Ortskundigkeit oder an jeder Ecke jemanden zu treffen, den wir kennen?

Hier neue Leute kennen zu lernen, war nicht schwer. München ist voller williger Charaktere, die gerne bereit und interessiert daran sind, ihre Stadt und sich selbst ins richtige Licht zu rücken und dir ein Stück davon zu präsentieren. Leider blieb es in den meisten Fällen eben auch dabei: bei einem Stück. Viele sind einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Entweder weil die horrenden Mietpreise stetig dazu antreiben mehr und mehr Geld zu verdienen, weil keine Zeit bleibt mal nichts zu tun oder weil die wenigsten noch etwas tun, wobei nicht über kurz oder lang etwas für sie herausspringt. Und so reden sie lieber über sich selbst, als wäre es schlichtweg zu anstrengend geworden, einem anderen richtig zuzuhören. Diese schmerzliche Erfahrung hat mich zunächst in eine tiefe Einsamkeit gestürzt. Auf dem schmalen Grad zwischen Ehrlichkeit und dem Bedürfnis nach Akzeptanz fällt es oft schwer, sich vollständig auszuleben. Es ist nun mal so: die meisten unserer Wünsche oder Gedanken wirken zu skurril, raffiniert oder sogar alarmierend, um sie frei von Angst vor Ablehnung einem anderen Menschen preiszugeben. Das macht es fast unmöglich jemanden zu finden, der ausreichend qualifiziert ist, uns vollständig zu verstehen.

Einsamkeit lässt Raum für neue Aktivitäten

Doch die sich mir hier gebotene Einsamkeit war wohl der Preis, den es zu zahlen galt, um meiner eigenen Kreativität freien Lauf lassen zu können. Mit der Erkenntnis, dass eine gewisse mentale Komplexität schlichtweg mit Einsamkeit einhergeht, kam auch die Erleichterung. Ich hatte auf einmal eine Menge freie Zeit zur Verfügung, die ich mit ganz neuen Aktivitäten füllen konnte: ich führte mich selbst ins Theater und zum Essen aus, nahm Cello-Unterricht und das Malen wieder auf. Ich begann wieder mehr zu lesen, die Stille wertzuschätzen. Wahre Intimität, das durfte ich lernen, entspringt nun mal aus Alleinsein. Indem der Dialog mit mir selbst entstand, konnte ich meinen Charakter erkunden und aufgrund der Isolation die Fähigkeit erlernen, echte Bindungen zu all jenen aufzubauen, die ich doch noch treffen sollte. So lernte ich zu filtern, mit wem ich meine knappe Freizeit verbringen will und auf welche falsche Gesellschaft ich getrost verzichten kann.

Was brauchen wir um uns zuhause zu fühlen?

Letztendlich braucht es vermutlich überall auf der Welt eine Menge Glück und ein offenes Herz, um auf die richtigen Leute zu treffen. Ob jeder in München dafür anderthalb Jahre braucht, vermag ich nicht zu sagen. Ähnlich schwer fällt mir die Antwort auf die Frage, ob ich hier angekommen bin und woran das festzumachen gilt. Ich bin definitiv weniger auf Google Maps angewiesen, ich habe Lieblingsorte, kenne die besten Schaukeln zum Seele baumeln lassen, weiß welche Plätze ich zu welcher Tageszeit meiden sollte, habe Restaurants und Cafés, die ich bevorzuge und treffe sogar ab und an jemanden zufällig auf der Straße. Aber ist das Heimat? Ist es das, was wir brauchen, um uns Zuhause zu fühlen? Offensichtlich ist eine Meldebescheinigung nicht mehr genug, um unserer verlorenen Seele ein Obdach zu geben und der Technik sei Dank halten Freundschaften jetzt auch interkontinental. Da wir diese Seele überall hin mitnehmen, ist Heimat kein geographischer Begriff, sondern ein emotionaler Zustand, indem wir zulassen können, wer wir sind und gleichzeitig eine Nische schaffen, in der wir andere zulassen können.