Wenn Zootiere getötet werden: Ist das wirklich nötig?

Zoos stehen vor einem Dilemma: Was tun, wenn Tierpopulationen wachsen, aber der Platz begrenzt bleibt? Einige Einrichtungen setzen auf Geburtenkontrolle, andere auf das gezielte Töten überzähliger Zootiere. Dieser Ansatz sorgt immer wieder für Empörung – wie im Fall der Giraffe Marius, die vor zehn Jahren im Zoo Kopenhagen öffentlich verfüttert wurde. Forschende der Universität Zürich halten die Praxis jedoch für notwendig, um das Überleben der Tierbestände langfristig zu sichern.

„Fortpflanzung ist ein Grundbedürfnis“

Marcus Clauss vom Universitären Tierspital der Universität Zürich sieht in Verhütungsmaßnahmen ein grundlegendes Problem. „Fortpflanzung ist ein Grundbedürfnis von Tieren. Ohne Reproduktion wird ihnen einer ihrer wichtigsten evolutionären Antriebe genommen“, erklärt Clauss. Langfristig führe dies dazu, dass die Populationen in Zoos überaltern. Stattdessen müssten Zoos ihre Bestände aktiv verjüngen, um ihren Bildungs- und Artenschutzauftrag zu erfüllen.

Das Platzproblem bleibt jedoch bestehen: Viele überzählige Zootiere können nicht an andere Einrichtungen abgegeben werden, und Auswilderungen sind oft unrealistisch. Die Forschenden plädieren daher in einer Studie für eine „geplante, fachgerechte Tötung“, um Zoos handlungsfähig zu halten. Diese Maßnahmen würden nicht nur dem Tierwohl dienen, sondern auch helfen, die natürlichen Lebenszyklen besser zu vermitteln.

Realistische Erwartungen statt Kuschelidylle

Andrew Abraham von der Universität Aarhus unterstützt diese Sichtweise. Zoos würden oft ein verzerrtes Bild vom Leben in der Natur vermitteln. Die Realität sei nun mal, dass Leben und Tod untrennbar zusammengehören. Doch viele Zoos würden den Tod ausblenden, um keine negativen Reaktionen hervorzurufen. Dabei besuchen jedes Jahr weltweit mehr als 700 Millionen Menschen zoologische Einrichtungen – ein enormes Potenzial für Aufklärung.

Wenn Zoos den Tod thematisieren, könnten sie zu einem ehrlicheren Verständnis beitragen, meint Abraham. Statt einer „Feelgood-Ausstellung“ könnten sie zeigen, wie komplex Artenschutz tatsächlich ist. Gerade angesichts des Artensterbens sei dies entscheidend: „Was wir nicht brauchen, ist eine Sammlung geriatrischer Tiere – und Tierärzt*innen, die sich mit Palliativpflege beschäftigen“, betont er.

Eigene Fleischproduktion als Beitrag zum Klimaschutz

Ein weiterer Aspekt, den die Forschenden hervorheben: Die kontrollierte Schlachtung überzähliger Tiere kann auch ökologisch sinnvoll sein. Ein deutscher Zoo deckt bereits bis zu 30 Prozent seines Fleischbedarfs durch Tiere aus eigener Nachzucht und reduziere so seine CO₂-Emissionen und den Einkauf von industriellem Tierfutter.

Natürlich bleibt die öffentliche Debatte um solche Maßnahmen kontrovers. Doch Clauss ist überzeugt: „Eine transparente Kommunikation kann dazu beitragen, die öffentliche Wahrnehmung zu verändern und die Akzeptanz von langfristigen, nachhaltigen Ansätzen zu erhöhen.“ Zoos müssten die schwierigen Entscheidungen erklären, um Verständnis für nachhaltige Populationsstrategien zu schaffen.

Eine unbequeme Wahrheit

Zootiere zu töten, um das Überleben anderer zu sichern – diese Vorstellung widerspricht dem Idealbild vieler Zoobesucher. Doch die Forschenden betonen, dass das Wohl der Tiere und der Artenschutz nicht voneinander zu trennen sind. Zoos könnten ohne Nachwuchs ihren Auftrag kaum erfüllen. „Zoos haben die Verantwortung, ihre Gäste über die Realitäten von Leben und Tod in der Tierhaltung aufzuklären“, so Clauss.

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Bild: Daderot via Wikimedia; CC1-Lizenz