Wissenschaft schafft kein Wissen: Plädoyer für Offenheit und Kreativität an der Uni

Wenn Wissenschaft kein Wissen schafft

22Von Niklas Binder

Wenn wir von Wissenschaft reden, denken wir gerne an Albert Einstein, Laborkittel und Bunsenbrenner. Wir denken an ein geschäftiges Institut, dessen Mitarbeiter in einer Tour an der Erkenntnis, dem Erreichen eines höheren Ziels arbeiten. Deren Aufgabe es stets ist, ein Heilmittel gegen Krebs zu finden oder künstliche Prothesen, mit denen Lahme wieder gehen können herzustellen.

Soviel zur Vorstellung – dass die mit der Realität nichts mehr zu tun hat, weiß jeder, der schon einmal an einer Universität studiert hat. Strenge, hierarchische Strukturen, bolognatisierte, verschulte Studiengänge und eine Massenabfertigung, die jeglichen individuellen Gedanken im Keim erstickt sind der traurige Alltag. Was einst ein Hort des Meinungsaustausches und der Kreativität war, ist heutzutage verkommen zur Produktionsstätte des Wissens. Mehr Wissen? Ja geil, ist doch super!

 

Das zweite Glied des dritten Beins des peruanischen Mikrotausenfüßlers

 

Nein, ist es nicht! Denn herauszufinden, wie der Mechanorezeptor des zweiten Gliedes des dritten, linken Beines des peruanisches Mikrotausendfüßlers funktioniert, ist kein Wissen, sondern nur reine Information, die auf diesem Planeten nun wirklich kein Mensch tatsächlich braucht. Genauso wenig das Wissen, in welcher trigonometrischen Funktion der Flagellenschlag des Affenspermiums funktioniert oder welche Gehirnzelle feuert, wenn ich ein kotzendes Kamel sehe.

Trotzdem wird an Universitäten unter dem Vorwand der Grundlagenforschung an Themen geforscht, deren Anwendungsgebiete entweder irrelevant oder nicht existent sind. Erkenntnis, Idealismus als Ursache dafür? Pff… von wegen. Das eigentliche Ziel, das Doktoranden heute vorantreibt, ist, bis Ende der Habilitation mehr Veröffentlichungen im Portfolio zu haben als Finger an einer Hand.

 

Veröffentlichen oder verschwinden


Publish or Perish ist das Motto der Wissenschaftsgemeinschaft. Und da niemand im Äther der Bedeutungslosigkeit verschwinden will, veröffentlichen alle. Die ganze Zeit. Ob es dann tatsächlich um eine wichtige Entdeckung geht, die es dem blinden Peter mal erlaubt, mit Hilfe von Computerchips auf seiner Zunge wieder zu sehen oder doch nur um den Aufbau von einer X-beliebigen Protease eines X-beliebigen Bakteriums, das im Arsch von einem X-beliebigen Flughund lebt, ist dann eigentlich egal. Hauptsache es wurde veröffentlicht!

Daran misst man heute nämlich die Qualität und die Güte einer Universität: Wie viele Veröffentlichungen hat die Universität in welchem Bereich in welchem Fachjournal gemacht und von wie vielen anderen Veröffentlichungen wurden diese dann wiederum aufgegriffen und weiterverarbeitet. Im Prinzip ist der ganze wissenschaftliche Betrieb nämlich nur eine große Paper-Produktions-Maschinerie, deren Ziel es ist, den Ruf der Uni zu verbessern. Gesellschaftlicher Mehrwert?

 

Produktionsstraße Wissenschaftsbetrieb

 

Wer nicht mitspielt im großen Veröffentlichungsmonopoly, bleibt unbekannt und kann es vergessen, mal als Professor zu arbeiten. Denn das ist ja das höchste Ziel eines Wissenschaftlers: Der Ruf. Nach Bachelor, Master, Doktor, PhD und 374 Veröffentlichungen kommt man am Ende der wissenschaftlichen Laufbahn an und wird in den Rang der Elite erhoben. Dass man auf dem Weg dahin Abstriche am Reflexionsvermögen über den Nutzen der eigenen Forschung machen muss, ist ja klar.

Denn darüber soll man ja sowieso nicht nachdenken, das lernt man ja schon im Studium: „Was bringt das eigentlich?“ „Wieso muss ich das wissen?“ Ungeliebte Fragen in der Vorlesung. Viel lieber hören die Professoren: „Ist das jetzt prüfungsrelevant?“ „Wann ist dann die Nachklausur?“ Auswendiglernen, Kreutzchen setzen, auskotzen – Unialltag. Für Neugier und kreative Gedanken ist da wenig Platz.

 

Freiraum für Idealistische Ideen

 

Obwohl genau diese beiden Eigenschaften doch der Motor sind, die aus einem einfachen Studenten den nächsten Einstein machen. Für die es zwar keine Fachzeitschrift gibt und keine Messskala, aber dafür Genies hervorbringen, die die Menschheit ein Stückchen besser machen. Die Studenten, aber auch die gesamte Wissenschaft braucht deswegen einfach mehr Spielraum. Für Kreativität, für Ideen, für idealistische Versuche, etwas grundsätzlich zu verändern. Ansonsten wird der Elfenbeinberg aus unnützem Wissen nur noch größer werden.

 

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Bild: Marketa unter CC BY-SA 2.0