XRE will neue Realitäten erschaffen

#MakeUsVisible: „Wir müssen Lärm machen“

Kunst unterhält, inspiriert und rüttelt wach: Am 1. März startet ein Projekt für mehr Geschlechtergerechtigkeit. #MakeUsVisible will die Millionen von Menschen marginalisierten Geschlechts in unserer Gesellschaft ehren.

„Es regt mich immer wieder  auf, wie sehr die Kunst- und Musikszene von Männern dominiert ist“, erzählt Anne Wichmann. Sie ist Musikerin und Kuratorin, arbeitet für das Künstler*innen- und Kurator*innenkollektiv XRE. „Wir wollen in erster Linie eine Plattform schaffen“, erzählt sie. Eine, die fair und divers ist. „Als Frau ist es sehr schwierig, irgendwo reinzukommen“, sagt Anne. „Ich dachte mir, dann machen wir es halt selber.“ Sie lacht. „So können wir von innen heraus etwas verändern.“ Denn Kunst gehört allen und Kunst schließt niemanden aus.

XRE – Die Realität erweitern

„Uns gibt es jetzt seit etwas mehr als zwei Jahren“, erzählt Anne in einer Zoom-Konferenz. Sie lebt in New York. Hier hat XRE auch den Sitz. Die Münchnerin Anne ist eine der Gründerinnen des Kollektivs. „Wir wollen, dass sich die Leute von der Kunst nicht nur berieseln lassen – sie sollen etwas fühlen.“ XRE steht für The Extended Reality Ensemble. Eine erweiterte Realität – das ist, was das Kollektiv erreichen möchte. „Wir kombinieren digitale mit analoger Kunst und nutzen neue Technologien für unsere Performances“, erzählt Anne. „Wir wollen Brücken schlagen.“ Deswegen ist ihr die Zusammenarbeit mit diversen Künstler*innen völlig unterschiedlicher Communitys und Backgrounds sehr wichtig. Eine ehrliche Diversität eben. „Da haben wir natürlich auch Männer dabei“, sagt Anne. „Wir sind ja nicht gegen Männer. Es geht uns darum, eine neue Balance zu schaffen.“ Zusammenarbeiten – und nicht gegeneinander.

#MakeUsVisible

Statuen erinnern an die Geschichten von Menschen, die eine Bedeutung für unsere Gesellschaft haben. Sie prägen unsere Werte und bringen sie zum Ausdruck. Nur leider nicht sehr geschlechtergerecht: 91% der Statuen in New York sind männlich, in München sind es 95%. „Einer unserer Hashtags ist auch #MoreHorsesThanWomen“, erzählt Anne und schmunzelt. „Gefühlt jede Skulptur in den westlichen Ländern ist ein Typ auf irgendeinem Pferd“, sagt sie daraufhin. „Und wir gehen jeden Tag daran vorbei und hinterfragen gar nicht, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht repräsentiert wird.“ Das will XRE ändern. Das Event #MakeUsVisible stellt den Männerstatuen in New York digitale Skulpturen geschlechterdiverser Persönlichkeiten gegenüber. Die Denkmäler werden in Augmented Reality dargestellt und sind mit dem Smartphone für die Besucher*innen erfahrbar. Eine Audiotour erzählt die Geschichten der einzelnen Skulpturen. An dieser Audiotour hat Anne mitgearbeitet. „Ich habe außerdem noch die Soundscape für eine digitale Skulptur gemacht“, erzählt sie. Als Künstlerin heißt Anne She’s Excited!“. Der Name beschreibt Anne gut. „Ich bin eine sehr enthusiastische Person. Wenn ich auf irgendwas Lust habe, dann mache ich das immer Vollgas“, sagt sie. „Und vor allem wollte ich immer einen Namen, der klarmacht, dass ich eine Frau bin.“

Wir müssen Lärm machen

Die Ausstellung ist kostenlos und kann online auf der ganzen Welt angeschaut werden. Alle können die AR Skulpturen in ihren Städten und Wohnorten neben männlichen Statuen sichtbar machen. „Ich finde das toll: Wir sind sozusagen umringt von unsichtbarer Kunst“, sagt Anne. „Und können sie allein mit unserem Smartphone sichtbar machen.“ Begeisterung liegt in ihrer Stimme. „Augmented Reality ist das perfekte Medium, um super schnell etwas zu verändern,  ohne eine Erlaubnis von der Stadt zu brauchen.“ Anne will Dialoge eröffnen, will, dass die Leute sich Gedanken machen, womit sie umrundet sind. So können wir unsere Stadtbilder und politischen Hintergründe durch Kunst in Frage stellen. „Je mehr Leute die Skulpturen sichtbar machen und auf ihren Social-Media-Kanälen mit dem Hashtag #MakeUsVisible teilen, desto besser“, sagt Anne. „Wir müssen Lärm machen.“

Von Cassandra bis hin zur künstlichen Intelligenz

Die Skulpturen sind divers und vielseitig. „Wir haben Bessie Coleman, die erste schwarze Pilotin. Wir haben Politikerinnen und auch mythische Figuren wie Cassandra“, zählt Anne auf. „Was ich auch total interessant finde: Ein nicht-binäres Künstler-Team hat eine nicht-binäre Priesterfigur erschaffen. Sie haben eine jahrhundertelange Geschichte für sie erfunden und ihr so Leben eingehaucht.“ Mit den Skulpturen der südamerikanischen Erdgöttin Pachamama und des südamerikanischen Wassergeistes Mami Wata wollen die Künstler*innen einen Bezug zum Klimawandel schaffen. „Sehr faszinierend ist auch die Arbeit mit künstlicher Intelligenz. Eine Künstlerin hat mit so einer KI auf Grundlage bisheriger weiblicher Statuen eine neue berechnet.“ Das Team hat drei Monate lang durchgearbeitet. „Das war sehr viel Arbeit“, erzählt Anne. „Aber es lohnt sich immer wieder“, ist sie sich sicher. Das Endergebnis vor sich zu haben gibt ihr viel. „Das ist wichtig – vor allem in einer Branche, in der man nicht viel verdient.“ Das Team ist finanziell abhängig von Sponsoren und Crowdfunding. Anne hofft auf Spenden, um den Künstler*innen so wenigstens einen symbolischen Betrag auszahlen zu können. Events kostenpflichtig zu machen, kommt für sie nämlich nicht in Frage. „Neue Technologien sind fast nur für weiße, reiche Menschen zugänglich. Wir wollen niemanden ausschließen.“

Lasst uns den Ball in die Hand nehmen!

„Unsere Arbeit ist wichtig“, sagt Anne. Sexismus in der Arbeitswelt ist ein großes Problem. Auch Anne hat damit zu kämpfen. Früher hat sie in vielen Bands gespielt, war von Männern umringt. „Es war immer klar, dass ich nur die Freundin vom Gitarristen bin. Als Frau ist man immer erst einmal nicht in der Band.“ Oft bekommt sie zu hören, wer sie denn produziere oder wer ihre Beats mache. „Ich bin mir sicher: kein Mann bekommt diese Fragen.“ Das macht Anne wütend. „Manchmal ist es zum Verzweifeln. Aber je mehr wir selber den Ball in der Hand haben, desto einfacher wird es.“

Deswegen wollen Anne und XRE #MakeUsVisible auf die ganze Welt bringen: Diversität sichtbar machen und den Menschen den Ball in die Hand geben.

Mehr Informationen findet ihr hier!

#MakeUsVisible – präsentiert von XRE, kuriert von Anne Wichmann & Clara Francesca & Katie Peyton Hofstadter, organisiert mit der Hilfe von Tina Grangl, unterstützt von Pollinate

Mehr zum Thema:

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Bildquelle: Nick Demou von Pexels; CC0-Lizenz