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Alice Merton: Heimat ist, wo geliebte Menschen sind 

Mit No Roots feierte Alice Merton 2016 ihren internationalen Durchbruch. Heute begeistert sie allein auf Spotify zwei Millionen Hörer*innen mit ihrem unverkennbaren Stil. Wir haben die 28-Jährige zum virtuellen Interview getroffen und über ihr neues Album S.I.D.E.S, Nervosität und die Bedeutung von Heimat gesprochen.

Am 17. Juni hast du dein neues Album S.I.D.E.S veröffentlicht, welches über zwei sehr bewegte letzte Jahre geht. Die entscheidende Message, die man daraus ableiten kann: Egal wie düster es vielleicht auch gerade sein mag, es gibt immer eine hellere Seite. Wenn wir zwei Jahre zurückschauen, fällt natürlich sofort der Beginn der Pandemie ein. War sie der Auslöser für das Album?

Ich glaube es hat dazu beigetragen, wie ich mich gefühlt habe. Ich würde aber nicht sagen, dass es der Auslöser war. 

Wann fängst du überhaupt an Songs zu schreiben? Wenn du akut ein Gefühl kanalisieren möchtest oder eher rückblickend? 

Ich würde sagen, dass ich immer ein bisschen Zeit und Abstand zu der Erfahrung brauche, bevor ich darüber schreiben kann. Es ist selten, dass ich ins Studio gehe, wenn es mir richtig gut oder richtig schlecht geht. Ich schreibe mir im Moment das dann immer auf und mache ein paar Sprachnotizen und irgendwann verarbeite ich das.

Wenn wir uns mal einen klassischen Song-Writing-Prozess ansehen: Wie viel machst du selbst, bevor du zu einem Produzenten gehst? Und fängst du mit Lyrics, Akkorden oder Melodie an? 

Das ist immer unterschiedlich. Manchmal ist es so, dass ich mit Lyrics anfange, die ich dann davor schon aufgeschrieben habe. Manchmal habe ich eine Melodie im Kopf, die ich als Notiz abgespeichert habe, und dann zeige ich das dem Produzenten und probiere ein bisschen auf dem Klavier herum. Manchmal ist es auch so, dass wir gemeinsam etwas anfangen. Ich kümmere mich aber meistens um Melodie und Text und der Produzent eher um die Produktion und das Arrangement (…). 

Ich mag es, wenn die Teams klein sind. Ich schreibe ungern mit vielen Leuten für mein eigenes Zeug. So eine Session ist auch immer sehr intim. Ich mag es nicht immer zu erklären, warum ich etwas schreibe oder warum ich mich so fühle. Ich möchte es dann auch so schreiben, wie es für mich im Kopf Sinn macht. 

Vor Releases: Empfindest du schon eine gewisse Nervosität? 

Auf jeden Fall. Ich kriege eigentlich immer Panik-Attacken an Tagen von Album-Releases. Dieses Mal freue ich mich aber vor allem, dass ich es nach so langer Arbeit jetzt endlich mit der Welt teilen kann. 

Durch Corona habe ich auch eine gewisse Entspanntheit bekommen, weil ich gemerkt habe, dass alles passieren kann. Ich freue mich einfach über jede Chance, die ich habe, Musik aufzunehmen und zu veröffentlichen. 

Und wie verbringst du Release-Tage selbst? Eher entspannt oder mit großer Party? 

Tatsächlich gehöre ich eher zu den Leuten, die halt weiterarbeiten. Ich weiß noch, letztes Mal sollte ich eigentlich an einem Release-Day von einem Album auch Promo machen. Aber mir ging es körperlich und psychisch so schlecht, dass ich das absagen musste. 

Du bist eine Künstlerin, die sehr gerne experimentiert. Ich gehe mal davon aus, dass du noch ganz viel unveröffentlichtes Material irgendwo gespeichert hast. Kann man das auch mit einer Art Tagebuch vergleichen, wenn man diese Dateien durchgeht? 

Man kann das auf jeden Fall mit einem Tagebuch vergleichen – ein musikalisches Tagebuch, auf jeden Fall. Manchmal vergisst man auch, was man vor zwei Jahren geschrieben hat und entdeckt es wieder. Das ist mir erst heute mit einem Song passiert, über den ich noch gar nicht so viel sagen kann. Es ist aber auf jeden Fall total spannend in die Vergangenheit zu gehen und zu lesen bzw. zu hören, was man gedacht und gemacht hat. 

Du wurdest auch dadurch geprägt, dass du in deiner Kindheit in den USA, Kanada, Deutschland und Großbritannien gelebt hast. Jetzt rückblickend: Empfindest du das eher als Segen oder eine Last?

Im Nachhinein ist es wirklich ein Segen. Aber damals habe ich es als Fluch gesehen. Damals war ich sehr nachtragend und sauer auf meine Eltern, dass ich durch so viele Umzüge gegangen bin. Das alles war für mich als Kind nicht schön. Im Nachhinein bin ich aber eher dankbar für die Erfahrungen und die Menschen, die ich getroffen habe. Ich bin durch diese Erfahrung aber auf jeden Fall rastlos geworden. 

Das erinnert mich auch an Alvaro Soler. Und für ihn sind Fragen wie „Was ist Heimat überhaupt“ sehr wichtig. Ist das in deinem Fall auch so? 

Ich weiß halt, was für mich meine Heimat ist. Und das ist immer bei Menschen, die ich liebe. Inzwischen mache ich mir da keine Gedanken mehr, weil ich mich mit No Roots auch damit abgefunden habe, dass ich einfach keine Wurzeln in der Hinsicht habe. 

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