Desillusionierung Aussteiger Digital Nomade

Warum das Aussteiger-Leben alles andere als erstrebenswert ist

Von Maximilian Schmeckl

Wenn man im Nieselregen zur Uni fährt, der Himmel in einem einheitlichen Grau ist. Oder wenn man morgens völlig übermüdet in die Arbeit fährt, weil die Mitbewohner einen mal wieder zu Tequila überredet haben, als man gerade schlafen gehen wollte. Wenn man frierend die Tür zur Bib aufstößt, vor einem ein Lernpensum liegt, das eigentlich nicht zu schaffen ist. Immer dann schweift man ab, man besteigt gedanklich einen Flieger, der einen weit weg bringt. One way am besten. Dorthin, wo es viel Sonne gibt, noch mehr Freizeit. Dorthin, wo einem Mojitos direkt in an die Hängematte gebracht werden, aus der man dösend den einzelnen Wolken zusieht, die wie ein abgespielter Film am strahlend blauen Himmel vorbei ziehen.

Auszusteigen, bevor einen der Arbeitsalltag endgültig verschlingt, das ist der Stoff, aus dem Kopfkinoträume sind. Mit dem Rucksack die Welt zu bereisen, immer das nächste Abenteuer im Blick, neue Menschen, neue Erfahrungen, absolute Freiheit. Das wünschen wir alle uns manchmal. Oder wenigstens in einem Pariser Straßencafé zu arbeiten und nicht in diesem stickigen Büro mit der kaputten Klimaanlage und dem Kaffeeautomaten, der nur wässrige lauwarme Brühe ausspuckt.

So wie Alica Lima. Die 34-Jährige hat einen 40-Stunden-Job – den sie von der ganzen Welt aus erledigt. Homeoffice in seiner krassesten Form. Mal arbeitet sie aus einem Amsterdamer Bistro aus, mal sitzt sie in Budapest in der Sonne und tippt auf ihrem Laptop herum, mal ist sie am Bosporus. Sie ist Online-Jobvermittlerin, ihr Büro kennt keine Grenzen.

Es gibt sie massenweise, diese Geschichten der Alltagsumgestalter, der Innovativen, die es anders machen und in uns ein Gefühl des Unbehagens auslösen. Man fühlt sich eingeschränkt, unfrei und findet es so unfair, dass man selbst nicht auch als weltgewandter Globetrotter, nur mit einem Laptop ausgerüstet, den Erdball umrundet.

 

Immer wieder von vorne beginnen

 

Ähnlich wie Alicia Lima hat es auch Monica Christensen lange gemacht. Die Tochter eines Dänen und einer Deutschen wuchs mit dem Verständnis auf, dass Zuhause überall sein kann. Als sie mit 19 das elterliche Nest verließ, hatte sie in Kopenhagen, New York, Berlin und Wien gelebt. Und sie machte zunächst so weiter. Fernstudium und Job als Online-Übersetzerin. Lokale Beschränkungen? Fehlanzeige.

„Am Anfang habe ich ein paar Monate in Stockholm gelebt. Später in Tel Aviv und London“, erzählt mir Monica in klarem Deutsch, als ich sie endlich erreiche. Wo ist sie gerade? „Berlin. Und da bleibe ich auch.“ Monica Christensen hat mit 24 mehr von der Welt gesehen als die meisten mit 50. Und genau das wurde ihr irgendwann zu viel. „Es ist etwas ganz anderes, ob du Urlaub machst oder dort lebst. Denn dann musst du immer wieder von vorne beginnen. Ankommen war lange ein Fremdwort.“

Moncia hat vom Reisen genug. Sie hat in Berlin einen Freund, eine Clique, ein Lieblingscafé, im Görlitzer Park geht sitzt sie gerne auf einer bestimmten Bank, auf der sie liest oder einfach nur die ihr immer vertrauter werdende Umgebung betrachtet. „Menschen wollen immer das, was sie gerade nicht haben“, sagt Moncia und lacht dann laut: „Natürlich ist Reisen trotzdem etwas Wunderbares. Es ist nur nicht so, wie sie das immer alle vorstellen.“

„Hast du ein Glück“, hatten Freundinnen ihr erzählt, nachdem sie aus Wien aufgebrochen war, per One-Way-Ticket nach Stockholm. Auch sie sei am Anfang ganz atemlos gewesen, übersprudelnd vor Freude auf das Abenteuer. In Schweden aber war es kalt, es wurde früh dunkel, sie kannte niemanden, sie fühlte sich einsam, wenn sie in der einbrechenden Dunkelheit in ihrem Zimmer saß, eine Übersetzung tippte und draußen junge Leute lachen hörte, die auf dem Weg zu ihrer Stammkneipe waren.

„Es war nicht immer einfach. Du kannst die Sprache nicht, dadurch, dass du nicht in die Uni gehst, lernst du auch nur schwer Leute kennen“, erzählt sie. Lotet man die Grenzen der eigenen Freiheit aus, erforscht man sie wie ein Seismograph des Ichs, stößt man schnell an einen Punkt, an dem man sich der im sicheren Umfeld unsichtbaren Säulen wie Geborgenheit und Sicherheit bewusst wird – und ihrer Wichtigkeit.