Fuck you, Bürokratie! Über verlorene Lebenszeit durch Papierkram
„Nee, also wenn Sie die passenden Papiere nicht dabei haben, kann ich da nichts machen.“ Ein wässriges Augenpaar schaut mich unter leicht beschlagenen Brillengläsern abschätzig, fast traurig, an. „Sie müssen jetzt ins Büro der Fachstudienkoordinatorin und lassen sich das Dokument ausstellen, und dann gehen Sie damit zum Referat für Internationale Angelegenheiten. Den Sprachnachweis bekommen Sie von einer beeidigten Übersetzerin, den lassen Sie sich von allen Parteien unterschreiben und reichen ihn dann hier ein.“ Und ich? Ich koordiniere das Ganze, schwingt unausgesprochen mit. Die Sekretärin in K03 sieht müde aus. Ich bin es auch; seit Monaten eiere ich durch diverse Internetseiten und gehässige Universitätsflure. Eigentlich will ich nach London.
Das Parkinson’sche Gesetz
Die Hälfte aller Unterlagen, die man für eine Bewerbung für ein aufwendiges Auslandsstipendium, aber auch für jeden anderen kleinen Fakultäts-Furz braucht, sind bloßes Beiwerk, um sich selbst zu erhalten, eine Selbstbeatmung der Bürokratie. Ich glaube, es ginge auch ohne. Oder mit weniger. Wie schön muss die Welt gewesen sein, denke ich mir und trete ernüchtert in die beißend kalte Oktoberluft, wie schön muss die Welt gewesen sein, als es noch keine Administration gab. Als man einfach arbeiten und sich abends vom verdienten Geld ein Käsebrot kaufen konnte, als man sich noch nicht für jeden Scheiß irgendwo registrieren musste und einfach in den nächsten Zug stieg, wenn es einen nach draußen zog.
Cyril Northcote Parkinson war ein britischer Historiker und Soziologe und ich glaube, ihn hätte die Pedanterie der Postmoderne auch fertiggemacht. Er störte sich schon um 1957 an der aufgeblähten Kolonialverwaltung in Malaysia und entdeckte, dass sich die Zahl der an einer Arbeit beteiligten Personen nicht proportional umgekehrt zur Zeit verhält, die es braucht, um diese zu erledigen. Stattdessen wächst sie sogar mit: Je mehr Leute, desto mehr Arbeit.
Der Limbus in K03
Statt effektiv zu sein, machen sich mehr Beamte gegenseitig Arbeit. Und brauchen schlussendlich viel länger – weil sie sich zusätzlich zur eigenen Aufgabe noch selbst verwalten müssen. Und so ist es auch an der Uni: jeder schickt einen immer weiter, und der schickt einen wieder weiter, und der wieder, und so weiter, und am Ende unterschreibt dann doch der Erste. Und das bestätigt das Parkinson‘sche Gesetz: „Arbeit lässt sich wie Gummi dehnen, um die Zeit auszufüllen, die für sie zur Verfügung steht.“ Als Königsdisziplin nannte Parkinson übrigens ein in der Politik immer wieder zu beobachtendes Phänomen: Sitzungen einberufen, in denen nichts anderes getan wird, als neue Sitzungen einzuberufen. In Bayern nennen wir sowas gerne auch mal Gschaftlertum.
Vor jedem Auslandsaufenthalt kommt die Hölle; Verwaltungszimmer wie K03 sind der Limbus jeder Uni und mein persönliches Fegefeuer und als frigide Mauerblümchen getarnte Cardiganträgerinnen sind in Wahrheit Anweisungen bellende Hausdrachen. Sie haben keine Geduld für Menschen, die noch mit rationaler Logik und nicht im Sattel der Vorschriften durchs Leben reiten und zwingen dich, Unterlagen aus der Urzeit herauszukramen, inzwischen würde es mich nicht einmal mehr wundern, wenn man einer Bewerbung die Siegerurkunde von den Bundesjugendspiegeln 1999 beilegen müsste. Aber halt, ich habe gelogen: Es kommt nicht vor jedem Auslandsaufenthalt die Hölle.
Sondern auch danach und währenddessen.
Von der anderen Seite
Laut Parkinson wird nämlich alle Zeit für die Erledigung einer Aufgabe gebraucht, die zur Verfügung steht. Und auch wenn sie euch immer das Gegenteil vorgaukeln wollen, Menschen in den Vorzimmern der Büros haben sehr viel Zeit für bürokratische Dinge. Das ist schließlich ihr Job. Ich wäre dafür, weniger Schritte in jeden Prozess einzubauen, aber wer hört schon auf mich. Ich bin ja nur ein Bewerber. Ein Stiefellecker und Stempelstreichler. Ich bin einer von der anderen Seite. Ich verbrenne mir noch die Füße, wenn ich in den Feuerkreis von K03 steige; den Anderen hat die Bürokratie schon den letzten Rest Gefühl aus den Extremitäten gezogen. Das Schlimmste dabei ist, wie schon gesagt: Je mehr Parteien an einer Sache hängen, desto aufwendiger wird es. Zuerst wird die Arbeit mit der Anzahl der Beteiligten multipliziert und dann fröhlich untereinander hin- und hergeschoben.
Und deshalb ein Tipp an alle Erstsemester: Wenn irgendwo im Seminar das Wort Gruppenarbeit fällt, dann rennt. Nehmt die Beine in die Hand und rennt so schnell ihr könnt.