Eine Deutschlandflagge durch eine verregnete Scheibe betrachtet

Schadet Corona der demokratischen Gesellschaft?

Schauen wir uns einmal einen Park im Sommer vor Corona an. Familien mit Kleinkindern tollen auf der Wiese herum, die coolen Kids hängen ab zu Musik, Bier und Kippen und die Super-Sportler wetteifern in ihren Laufgruppen um die Bestzeit. Man sieht Großmütter auf den Bänken in der Sonne am Tratschen, Yogis meditieren und junge Mädels beim Fotoshooting. Da sind die Businessmenschen beim Coffee-to-go in der Mittagspause, die türkische Großfamilie mit XXL-Picknick und Hipster-Studis, die beim Buchclub einen Joint rumgehen lassen. Ist das nicht der Inbegriff des Pluralismus? Auf engstem Raum hat jeder die Freiheit zu tun und lassen was er will. Klar – die Situation im Park kann entspannt sein. Oder sie fordert heraus. Die laute Musik der Jugendlichen nervt, die Jogger rennen den Poser-Girls durchs Bild und zerstören das perfekte Motiv und der Geruch nach Marihuana ist den Müttern und Vätern ein Dorn im Auge. Was nun? Entweder man reagiert mit Akzeptanz, denkt sich „Ach, lass ich die anderen halt machen“ und konzentriert sich auf sich selbst. Oder man wählt den Weg der Konfrontation. Vielleicht stößt man mit der Bitte, die Musik doch etwas leiser zu drehen auf Unverständnis und die Situation artet in eine hitzige Diskussion oder einen Konflikt aus. Aber immerhin setzt man sich mit den Bedürfnissen des jeweils anderen Auseinander. Und vielleicht, wenn es gut läuft, findet sich ein Kompromiss – weil man sich mit Respekt begegnet und einen Schritt aufeinander zu geht. Genau solche Momente bilden das Herzstück einer demokratischen Gesellschaft.

„Gesellschaft ist ein körperlicher Prozess“

Doch – wie auch schon Gero von Randow feststellte – basiert diese Art des Zusammenlebens auf Körperlichkeit. Das Konzept funktioniert jedoch nicht mehr, wenn all die verschiedenen Teile der Gesellschaft nicht mehr Tag für Tag aufeinandertreffen. Wenn schlichtweg kein öffentliches Zusammenleben mehr existiert. Wenn wir nicht mehr aufeinandertreffen, verlernen wir den Umgang miteinander. Die Gesellschaft wird unflexibel und weniger kompromissbereit. Statt dem entgegenzuwirken, befeuert die Politik den Zustand noch. Zu viele Teile der Gesellschaft werden bei den Corona-Maßnahmen vergessen. Die Kulturschaffenden, denen quasi der wirtschaftliche Nährboden unter den Füßen weggezogen wird. Den Schüler*innen, die seit Monaten im schlecht laufenden Home-Schooling hängen und denen darüber hinaus jede Möglichkeit von Freizeitaktivitäten gestrichen wird. Die Alten in den Pflegeheimen, die vor Einsamkeit verbittern und ihre letzten Tage alleine verbringen müssen. Die Liste der Vergessenen ist lang – und trotzdem ist keine Besserung in Sicht.