Down-Syndrom: Zwischen Mitleid und Bewunderung
Circa fünf Millionen Menschen weltweit haben das Down-Syndrom. Meine Brüder sind ein Teil davon. Mitleidige Blicke oder Worte der Bewunderung haben sich für mich immer fremdartig und störend angefühlt. Warum sollte ich Lob für etwas bekommen, was doch selbstverständlich sein sollte? Erst im Laufe der Jahre habe ich begriffen, dass außenstehende Personen davon ausgehen, dass Menschen mit Behinderung stets lästig, anstrengend und unerwünscht sind – wie falsch sie damit doch liegen.
Im Regelfall besitzen wir in allen menschlichen Zellen 23 Chromosomenpaare; Menschen mit Down-Syndrom tragen ein zusätzliches Chromosom in sich. Das Chromosom 21 ist dreifach vorhanden (daher stammt auch der Ausdruck Trisomie 21). Von Ärzt*innen werden die Auswirkungen als verzögerte motorische Entwicklung, individuell unterschiedlich ausgeprägte Intelligenzminderung und ein verändertes Erscheinungsbild (schräg gestellte Augen, rundes Gesicht und breite Hände) beschrieben. Insbesondere ab dem 35. Lebensjahr kann es vorkommen, dass Frauen Säuglinge mit Down-Syndrom auf die Welt bringen.
Eine Sache vorweg: Ich spreche hier über meine eigenen Erfahrungen. Ich möchte nichts romantisieren oder beschönigen. Mir ist durchaus bewusst, dass das Down-Syndrom sich unterschiedlich stark auf einen Menschen auswirken kann; teilweise sogar so schwer, dass starke gesundheitliche Probleme auftreten. Ich möchte niemandem das Recht absprechen, sich zu beschweren oder sich hilflos zu fühlen. Diese Perspektive hat meiner Meinung nach jedoch schon sehr viel Gehör gefunden, weshalb es an der Zeit ist, auch eine andere Seite zu beleuchten.
Vorurteile über Vorurteile
Als ich mit 11 Jahren erfuhr, dass ich ein kleinen Bruder bekommen würde, war ich vollkommen aus dem Häuschen – endlich war ich nicht mehr die Jüngste in der Familie. Schnell kam die erste Überraschung: Es werden Zwillinge! Dann bei der Geburt die nächste: Die Zwillinge haben das Down-Syndrom. Ok, dachte ich, ist mir eigentlich egal, ich freute mich einfach viel zu sehr, endlich große Schwester sein zu können. Wie es halt so ist, ziehen neugeborene Babys unheimlich viele Menschen an. Die Besuche zu Hause häuften sich und unterwegs wurden wir oft angehalten, damit jede*r mal den Kopf in den Kinderwagen stecken und beteuern konnte, wie süß die beiden doch seien. Verwunderlich war für mich, dass die beiden oft mit einer Mischung aus Mitleid und Unsicherheit angesehen wurden. Sätze wie: „Oh, leiden die beiden am Down-Syndrom? Das tut mir aber leid“ verwirrten mich – warum sollte es irgendjemandem leid tun, dass die beiden auf der Welt sind? Mittlerweile verstehe ich, dass die Menschen verunsichert sind, wenn es zu einer solchen Begegnung kommt. Das liegt vor allem daran, dass Menschen mit Behinderungen nicht in der Mitte unserer Gesellschaft integriert sind. Vielmehr werden sie als Randgruppen angesehen, auf die man im bestenfalls nicht trifft, um der Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Ich möchte hier natürlich nicht pauschalisieren, es gab und gibt natürlich auch unzählige schöne Begegnungen, in denen das Down-Syndrom überhaupt keine Rolle gespielt hat. Häufig sind es aber leider die unschönen Szenarien, die einem lange im Kopf bleiben. So denke ich an die Zeit zurück, in denen die beiden noch in den Kindergarten gegangen sind. Sie besuchten keinen explizit integrativen Kindergarten, sondern eine Regelkindertagesstätte – die beiden waren also die einzigen Kinder mit Behinderung. Das schöne an Kindern ist, dass sie oft keine vermeintlichen Fehler bei anderen sehen, bis zu dem Zeitpunkt, in dem man sie darauf hinweist. So wurden die beiden damit konfrontiert, dass Kinder nicht mehr mit ihnen spielen wollten (teilweise sogar durften), weil ihnen die Eltern erzählten, dass die beiden krank sind. Die Kinder bekamen Angst, dass die Krankheit auf sie abfärben würde.