Nonne mit Zigarette

Eine Idee Liebe: Der Madonna-Hure-Komplex

Sigmund Freud ist heute unter anderem bekannt für seine Analyse kindlicher sexueller Konfliktlagen. So weit, so gut. Er ging davon aus, dass viele Traumata und Neurosen ihren Ursprung in der Kindheit haben. Dazu teilte er die Kindheit in fünf Phasen ein, die ein Kind auf seinem Weg zum Erwachsenen durchläuft. Uns interessiert für unser Problem jedoch nur die dritte und die fünfte Phase.

In der dritten Phase tritt laut Freud der viel diskutierte Ödipus-Komplex auf. Seiner Ansicht nach verlieben sich Kinder in dieser Phase in das gegengeschlechtliche Elternteil. Aus heutiger Sicht klingt das befremdlich, doch wenn man seiner Argumentation folgt, wird die Sache irgendwann rund. Denn wenn Kinder in dieser Phase nicht genug Aufmerksamkeit erhalten, kommt es laut Freud dazu, dass sie den Übergang in ein selbstbestimmtes erwachsenes Liebesleben nicht produktiv meistern können. In der fünften Stufe der psychosexuellen Entwicklung lösen sich die Kinder im Idealfall dann völlig von ihren Eltern und suchen mehr Kontakt zu der eigenen Altersgruppe. Dies ist aber nur möglich, wenn die Stufen zuvor gesund durchlebt werden konnten. Ist dies nicht der Fall, kann das Kind nach Freuds Definition nie selbstbestimmt lieben und wird immer nach mütterlicher oder väterlicher Liebe in seinem Partner suchen.

Daraus folgt nach Freud bei heterosexuellen Männern dann was? Richtig, der Madonna-Hure Komplex.

Verfolgt man seine Argumentation konsequent, so wachsen diese Söhne schließlich zu potenten Liebhabern heran, die jedoch in Bedrängnis kommen, sobald die eigene Partnerin zur Mutter wird. Hier setzt nun die unterbewusste Erinnerung an die verschmähte Liebe der eigenen Mutter ein und damit wird auch die Partnerin zu einer quasi a-sexuellen Person stilisiert.

Ein ganz schönes Dilemma und zum jetzigen Zeitpunkt auch ein ziemlich verquerer Gedankengang. Schließlich bezieht sich das Modell nur auf heterosexuelle Beziehungen und auch einzig und allein auf die Sicht des Mannes. Zu der gegensätzlichen Dynamik sagt Freud nämlich nicht sonderlich viel. Ein vernachlässigtes Mädchen hat nach seiner Definition immer nur zwei Optionen: Entweder es wird sexuell frustriert und damit hysterisch oder eben lesbisch. Und dass das Quatsch ist, brauche ich im Jahr 2021 wohl niemandem mehr zu erklären. Doch ob mit oder ohne Psychoanalyse, die Problematik bleibt bestehen.

Es gibt aber tatsächlich auch aus der modernen Perspektive Gegebenheiten, die den Madonna-Hure-Komplex auslösen können. Die traumatische Geburt des gemeinsamen Kindes beispielsweise oder auch eine lange sexuelle Flaute nach der Schwangerschaft, sodass die erotische Verbindung zwischen den Eltern nachlässt. Während sich in einem traditionellen Rollensystem die Mutter dann zunächst voll und ganz der Fürsorge des Kindes annimmt und mit sich selbst und ihrem Körper zu tun hat, ist der Vater schon wieder im alltäglichen Leben angekommen und sieht sich dort möglicherweise nach sexuell anziehenden Sexualpartnerinnen um. Wie gesagt, sehr übertrieben konservativ dargestellt.