Eine Liebeserklärung an: die Berghütte
Ich schleppe einen Rucksack mit Proviant, einer Ersatzhose, frischer Unterwäsche und Zahnbürste einen steilen Kiesweg hoch. Was sich in meiner Wohnung noch als bescheidenes Päckchen ohne jeglichen Luxus anfühlte, ist nach einem mehrstündigen Anstieg doch ziemlich schwer auf meinen Schultern. Die Gespräche mit den Mitwandernden sind längst verstummt, inzwischen sind wir alle auf uns selbst fokussiert und stapfen eisern vor uns hin. Aber dann, wir verlassen gerade ein kleines Waldstück, der beste Moment der Wanderung – Wir sehen unser Ziel: Liebe Berghütte, wir kommen! Im Gepäck nicht nur das Überlebensnotwendigste, sondern viele Gesprächsthemen, alte Freunde und neue Bekannte.
Hier kann ich ankommen und aufatmen
Zur Belohnung empfängst du uns mit leckerem Kaffee und Kuchen. Und das ist richtiger Luxus, hier auf knapp 1900 Metern Höhe. Ganz anders ist das bei euch, liebe Selbstversorgerhütten: Diese kleinen, aus grobem Holz gezimmerten Jagdhütten beanspruchen mehr Arbeit. Ankommen heißt hier oft erstmal: Schneeschaufeln, bis man überhaupt die Türe sehen kann. Und mit klammen Fingern außerhalb Feuer machen, damit die Hütte beheizbar wird.
In jedem Fall ist das Ankommen bei dir etwas Besonderes. Im Gegensatz zu Hotels, Hostels und Besuchen bei Freunden auf anderen Urlaubsreisen, hat man sich das Ankommen hier erarbeitet. Körperlich erarbeitet. Und dann setzt man sich erst einmal hin, um durchzuatmen. Und das darf auch sein: Kein Anstehen bei der Anmeldung, kein WLAN-Suchen mit einem fremden Mobilfunksystem, keine redseligen Backpacker oder wartende Touri-Guides. Du überflutest uns nicht direkt mit neuen Eindrücken. Wer will, wandert noch ein bisschen weiter, wer nicht will, der setzt sich auf einen Aussichtsplatz und macht einfach mal Pause. Liebe Berghütte, danke, dass du meist kein funktionierendes WLAN hast, dafür aber ein windgeschütztes Bänkchen mit Lehne und einen Blick über Abhänge, Felsen, Bergwälder, Täler und schneebedeckte Gipfel bietest!
Schnaps und Sterne für einen tollen Abend
Wenn wir dann am Abend zusammen sitzen, ist es egal mit wem wir hoch gelaufen sind, egal als wie sympathisch oder unsympathisch sich die anderen Leute entpuppen: Dank dir sind wir für einen Moment eine Gemeinschaft. Fast wie ein gestrandetes UFO musst du in der Bergwelt wirken. Eine strahlende Lichtquelle, seltsam fremd. Und wir sitzen hier drinnen zusammen, wie die UFO-Besatzung, super-behaglich am Kaminfeuer. Ein Kartenspiel mit Weiberabend-Fragen und ein von der Hüttenwirtin selbst gebrannter Schnaps: So schnell und so gut lernt man unten im Tal selten Menschen kennen. Die Gespräche kreisen ganz schnell um ziemlich wichtige Dinge. Vielleicht, weil wir hier bei dir so viel Abstand zu den Alltagsfragen haben und uns tatsächlich auf das Wesentliche konzentrieren können. Vielleicht, weil du und der beengte Speiseraum uns hier mit Menschen zusammengewürfelt haben, die außerhalb unseres Dunstkreises liegen und ganz andere Ansichten haben.
Gut schlafen trotz Schlafsack und Schnarcher
Wenn wir uns nachts noch einmal vor deine Tür schleichen, geht uns das Herz auf: Ein Sternenhimmel, zum Greifen nah. Hell, wie niemals unten im Dorf. Und das löst ein Gefühl der Sehnsucht aus, Einsamkeit, wahlweise auch Dankbarkeit, Demut, Glück, Freude – in jedem Fall ein Gefühl, das wir unten im Tal nur selten so intensiv spüren. Und wenn das zu viel wird: Schnell zurück zur inzwischen (mit oder ohne Schnaps) angeheiterten Gemeinschaft. Und irgendwann stolpern wir kichernd nach oben, putzen gemeinschaftlich vor einem kleinen Waschbecken die Zähne und dann ab in den Schlafsack – Schulausflugsfeeling pur!
Die meisten deiner Hater fürchten sich bei dir vor Bettwanzen und schnarchenden Lagernachbarn. Von Bettwanzen war auf meinen bisherigen Hütten allerdings keine Spur. Der DAV schildert inzwischen auch ausführlich, wie du und deinesgleichen dagegen vorgehen, sodass ich mir keine Sorgen mache. Das mit dem schnarchenden Nachbarn ist allerdings ein anderes Thema. Denn ja, auch ich habe schon einmal eine ganze Nacht mit einem Superschnarcher im gleichen Lager verbracht. Aber dafür gibt es ja Ohrenstöpsel.
Eine echte Auszeit – greifbar nah
Liebe Berghütte, du bist, zumindest für den Süden Deutschlands, immer greifbar nah. Und zugleich auch unendlich fern. Denn wenn das Wetter nicht mitspielt, bist du tatsächlich unerreichbar, trotz allen technischen Fortschritts. Orkanböen, Dauerregen, Schneesturm – liebe Hütte, wir bleiben heute lieber im Tal.
Aber erinnerst du dich noch, als sich das einmal beinahe umgekehrt hätte? Als du uns beinah nicht mehr gehen lassen wolltest? Was für ein großartiger, aufregender Nachmittag, als wir dachten, wir seien tatsächlich eingeschneit! Wieder auspacken, versuchen bei den im Tal Gebliebenen Bescheid zu geben, Vorräte zählen, nochmal einheizen und auf den Alltag im Tal pfeifen – schuldlos an der Verlängerung… Hach!
Liebe Hütte, danke, dass du mir immer wieder eine neue Perspektive auf dieses Leben im Tal gibst, einen Blick von hoch oben auf völlig unnötige Sorgen und seltsame Nöte, ein wenig Entschleunigung bei kraftvoller Anstrengung, neue Energie und ganz viel echte frische Luft!