Hassobjekt: Floskeln, die Deckmäntel puren Unvermögens

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten überspitzt in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: Floskeln.

Sie sind die Abart unserer Kommunikation. Sie sind nichts als heiße Luft, eine leere Versprechung, die niemand einhalten kann. Gesprochen, wenn eigentlich Stille nötig wäre. Sie stellen Fragen, die niemanden interessieren. Drängen sich vor, wo eigentlich eine bessere Antwort stehen sollte. Und das Schlimmste: Sie begegnen uns tagtäglich, verfolgen uns auf Schritt und Tritt, lähmen unsere Köpfe und unsere Gespräche, machen unsere Gedanken und Zungen schwer. Wir können gar nicht mehr ohne sie. So viel Mühe wie wir uns auch geben, sie rieseln scheinbar mir nichts, dir nichts in die Dialoge wie frischer Schnee, und dort werden sie vor lauter Omnipräsenz nicht einmal mehr als das entlarvt, was sie eigentlich sind: schwammige, trübe Floskeln. Aber hey, das wird schon alles.

„Dazu gehören doch immer zwei“

Ich bin der Meinung, es gibt zwei Arten davon, wie Floskeln vorkommen und angewendet werden: Erstens im alltäglichen Gespräch, in Emails in Begrüßungen und und und… Da hauen wir Floskeln raus, bis uns schlecht wird von dem ganzen seichten Gelaber, das irgendwie immer schmeckt wie der Kaffee von vorgestern. Beide Gesprächspartner sind die Täter, beide verschulden gemeinsam die Oberflächlichkeit. Man würde hoffen, der eine reißt das Steuer herum und gibt dem Gespräch immerhin eine weisende Richtung. Aber nein: „Oh hi, lange nicht gesehen, wie geht es dir?“ – „Stimmt, wir sollten unbedingt wieder mal was zusammen unternehmen. Mir geht’s gut danke.“ Dabei geht’s niemandem gut und etwas unternommen wird erst recht nicht. Leider vor allem nicht gegen diesen haarsträubenden Dialog. Je nach Belieben wird dieses belanglose Pingpong noch ein bisschen hin und her gespielt und am Ende gehen beide ihrer Wege und fragen sich tief im Herzen, ob wohl bei jedem „Gut, und dir?“ irgendwo ein süßes Katzenbaby sterben muss.

Bei der zweiten Kategorie in der umtreibenden Wissenschaft der Floskeln, handelt es sich um scheinbar tröstende Sätze wie: „Das wird schon wieder“, und „Es kommt so wie es muss“ oder „Der wird sich schon melden.“ Dabei stelle man sich folgende Gesprächssituation vor: Person 1 wurde das Herz gebrochen, sie weint sich an einer befreundeten Schulter aus. Sie erläutert unter Schluchzern die ganze Situation, mit viel Liebe zum Detail damit das Gegenüber auch ja eine aufbauende Antwort oder einen nützlichen Rat zusammenfügen kann. Das verletzte Herz lechzt nach der Empathie des Zuhörers, setzt alle Hoffnung und Erwartung in ihn. Und dann die alles zerschmetternde, Zuversicht raubende Erwiderung: „Ach Schätzchen, es gibt noch viele Fische im Meer. Kopf hoch!“ Tja… und das ist ungefähr so realistisch, wie die mittlerweile nicht mehr ganz so horrende Anzahl von Fischen im Meer. In diesem Fall ist nur einer der Täter – und das Opfer (hier Person 1) ist seiner Floskel-Pistole hilflos ausgeliefert.

Floskeln entstehen durch mangelnde Empathie

Beide Floskel-Arten sind da entstanden, wo der Mensch in seinem Einfühlungsvermögen versagt hat. Er versucht zu überspielen, dass er im Grunde gerade überhaupt keinen Plan hat, was einerseits in seinem Gegenüber vorgeht und andererseits wie er empathisch darauf reagieren könnte. Also entwickelt er pseudo-normative Aussagen, die irgendeinen Soll-Zustand beschreiben – wie und wann dieser Zustand erreicht wird, ist von aller größter Unbedeutung. Es wird schon alles gut. Die Floskeln sind aber nicht nur Zeugen von fehlendem Einfühlungsvermögen: Viel zu häufig sollen sie möglichst unauffällig das absolute Desinteresse am Gesprächspartner kaschieren. Oder schlimmer: Ein Interesse vorgaukeln, das eigentlich gar nicht vorhanden ist. Da sind sie nur Platzhalter der Höflichkeit. Aber wie geht es eigentlich Ihrer Frau?

Sie sind der Nähe-Killer schlechthin

Klar, mit fremden Menschen oder nur flüchtigen Bekannten, hat man selten Bock, gleich den harten Real-Talk zu starten – natürlich ist da zwischendurch eine Ausflucht mit Floskel-Charakter legitim. Aber leider wird auch in engeren Verhältnissen immer noch viel zu oft und viel zu leichtfertig mit Floskeln um sich geworfen. Dabei bauen diese gehaltlosen Heißluft-Bomben riesige Mauern um uns, die niemanden rein lassen, aber uns halt genauso einsperren. Sie verhindern wahre Nähe, sie verhindern echten Tiefgang. Sie versperren den Weg zu einer Meta-Ebene, und zur Möglichkeit, Probleme oder auch nur Sachverhalte in ihrem Grund anzugehen. Sie sind der Killer jedes zwischenmenschlichen Austausches und eine feige Ausrede. Ein Gespräch wird innerhalb von Sekunden im Keim erstickt, jegliches Potenzial wird zunichte gemacht. Und das ist umso gemeiner, wenn es sich wie in Fall 2 um ein Floskel-Ungleichgewicht handelt und das Opfer resigniert die Hilfesuche aufgeben muss. Denn gegen Floskel-Täter ankämpfen ist aussichtslos.

Also: Lasst uns doch unser Gegenüber wertschätzen und ihm unser aufrichtiges Interesse entgegenbringen. Lasst uns doch Mühe geben, bessere Fragen und bessere Antworten zu finden – auch wenn sich die Floskeln unermüdlich vordrängen. Lasst uns einen Schritt weiterdenken. Lasst uns auf die anderen eingehen, und zwar fragen „Wie geht es dir?“, aber dabei aufrichtig die Chance bieten, authentisch zu antworten. Und auf der anderen Seite selber authentisch bleiben. Uns den anderen zu- und anvertrauen. Ehrlich sein – und halt manchmal lieber sagen: „Ich weiß leider grad echt nicht, was ich dir da Sinnvolles raten könnte.“ So bleibt man immerhin authentisch und es kann vielleicht gemeinsam eine Lösung gefunden werden. Und treffen wir uns auf der Straße und kennen uns nicht so gut, lasst uns ein Experiment starten  und trotzdem versuchen, was Gehaltvolles aus dem Gespräch zu ziehen. Und wenn es auch nur für die paar geretteten Katzenbabys ist.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz