Wieso Geburtstage nicht mehr das sind, was sie einmal waren
Früher konnte ich es kaum erwarten, Geburtstag zu haben. Ich bin viel zu früh aufgewacht, nur um mich dann viel zu lange aufgeregt in meinem Bett hin und her zu wälzen. Als ich ins Wohnzimmer kam, war alles geschmückt. An der Wand hing eine bunte Girlande, an meinem Stuhl große Luftballons. Jedes Geschenk war eine Überraschung, das Auspacken aufregender als der Inhalt. Immer, wenn meine Mutter kurz weggesehen hat, habe ich heimlich eine Erdbeere von dem Kuchen geklaut.
Wenn ich mit 22 eine Erdbeere aus dem Kuchen klaube, ist das leider nicht mehr süß. Und überhaupt – Geburtstage sind einfach nicht mehr das, was sie einmal waren. Früher, da saß meine ganze Familie um den Tisch. Es war laut und alle haben durcheinander geredet, während meine Mutter die Sahne geschlagen hat. Es roch nach Omas Parfüm, nach Opas alter Aktentasche und nach Geschenkpapier. Jetzt ist der Tisch nur noch leer besetzt. Drei meiner Großeltern sind tot, meine Oma dement. Meine Schwester arbeitet jetzt in Norddeutschland.
Da sitzen wir also: meine Eltern, eine meiner Schwestern, mein Onkel, mein Cousin und ich. Auf den leeren Stühlen sitzt die Melancholie. Nachdem ich mich zehn Minuten von meinem zehnjährigen Cousin provozieren habe lassen, weil er der Ansicht ist, dass Mädchen schlecht in Sport sind, kommt die Frage aller Fragen. „Weißt du eigentlich schon, was du nach deinem Bachelor machen willst?“ Nein, ich weiß es nicht. Die Zukunftsangst hat sich auf den leeren Stuhl neben der Melancholie gesetzt.
Früher hat es mir gefallen, im Mittelpunkt zu stehen. Ich habe mich wichtig gefühlt und besonders. In die Schule habe ich dann ein ganz besonderes Kleid angezogen. Es sollte nur jeder wissen, dass ich Geburtstag hatte. Und jetzt? Jetzt schießt mir das Blut ins Gesicht, wenn mir jemand ein Lied singt und mich dabei länger als nötig ansieht.
Mit meinen Freundinnen verabrede ich mich zum Kaffeetrinken. Dass machen wir zwar eh jedes Mal, wenn wir uns sehen. Aber diesmal wenigstens ohne schlechtes Gewissen. Schließlich habe ich ja Geburtstag, da kann man sich schon einmal den ganzen Nachmittag ins Café setzen. Ich gönne mir heute vielleicht sogar zwei Stücke Torte, denke innerlich aber schon wieder darüber nach, ob das nicht zu viel ist. Wieso kann ich nicht mehr einfach in den Kuchen beißen und nur die Schokolade schmecken? Jetzt schmecke ich Kalorien.
Zum Glück bin ich erst 22. Noch wohne ich zuhause, noch hängt meine Mutter jedes Jahr eine bunte Girlande auf, noch ist es irgendwie spannend, älter zu werden. Solange das so ist, werde ich vielleicht immer noch etwas vor dem Wecker aufwachen und mich auf den Tag freuen. Aber was ist, wenn älter werden nichts Positives mehr ist? Wenn ich in ein paar Jahren immer noch keine Antwort auf die Frage habe, was ich machen möchte? Wenn sich der Tisch weiter leert? Wenn irgendwann mehr Falten, als Gesicht auf dem Geburtstagsfoto zu sehen sind? Darüber denke ich lieber nicht nach.
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Bildquelle: Ylanite Koppens von Pexels; CC0-Lizenz