
Ein Kommentar zum Gender-Dilemma
Du bist kein Opfer
Wenn man – wie Sashka behauptet, dass Frauen überhaupt keine Opfer des Systems seien und Feminist*innen künstliche Probleme erschaffen – die Frauen nur in eine Opferrolle drängt, erscheint es natürlich zunächst plausibel, dass von der Gegenseite behauptet wird, es gäbe in keinerlei Hinsicht Ungerechtigkeit und man die Lösungsvorschläge der „radikalen Feminist*innen“ als absurd darstellt oder behauptet, es gehe ihnen darum, einfach nur ihren Willen durchzusetzen. Dabei wird einfach außer Acht gelassen, dass es sich in keinster Weise um künstlich erschaffene Probleme handelt, sondern dass diese Probleme in zahlreichen Studien und Daten zum Vorschein kommen, die eine sogenannten Gender Data Gap zu Ungunsten der Frauen sichtbar machen und verdeutlichen, dass heutzutage noch in vielen Bereichen belegbar keine Gleichberechtigung herrscht – auch wenn viele das Gegenteil behaupten wollen, weil es im Grundgesetz anders steht.
Dass also Männer darüber schreiben, dass sich Frauen nicht mehr in die Opferrolle begeben sollen, dient nicht dem Zweck, dass sich dadurch etwas ändern würde, sondern zielt viel mehr darauf ab, Frauen lediglich ihre Diskriminierungserfahrung abzusprechen und davon zu überzeugen, dass sie diese nicht erfahren würden und sie sich nicht zum Opfer machen sollen, sie seien doch emanzipiert. Ein absurder Gedanke. Nur weil ich mich nicht als Opfer ansehe oder realisiere, dass ich quasi Opfer eines Systems bin (was in gewisser Form auf fast alle Menschen zutrifft), heißt das nun mal nicht, dass man nicht Opfer von etwas wurde oder ist. Dass Sashka eine so vereinfachende und populistische Aussage ohne genauere Differenzierung übernommen hat, sehe ich als höchst problematisch an. Denn so behauptet sie als Betroffene keinerlei Benachteiligung zu erfahren. So sehr sie das glauben darf und sich selbst nicht als Opfer ansieht, macht das die herrschende Ungerechtigkeit nicht weniger existent, auch wenn sie diese persönlich (noch) nicht erfahren hat.
Sie verschließt einfach die Augen davor, was belegbar existiert und spricht somit allen Frauen ihre Diskriminierungserfahrung ab. So sehr ich mich und alle anderen Frauen tatsächlich auch gar nicht als „Opfer“ betrachte, bin ich mir der systematischen Unterdrückungsmechanismen bewusst und in welchen Formen Ungerechtigkeit immer noch herrscht. Dafür muss man niemanden in eine Opferrolle drängen, aber indem man sie einfach abstreitet, werden Benachteiligungen nun mal auch nicht weniger. Wenn Menschen zu Opfern werden (und das tun sie in zahlreicher Ausführung), bleibt ihnen nichts weiter übrig, als sich den Umständen bewusst zu werden, die dazu geführt haben und sich gegen diese auszusprechen. Nur so kann es schließlich gelingen, sich vom Opfer-Dasein zu befreien. „Opfer waren wir vorher, in dem Moment, in dem etwas passiert ist. Aber sobald wir erzählen, wechseln wir den Status: Wir werden vom Objekt zum Subjekt. Wir erlangen ein Stück Kontrolle zurück […]. Es ist ein Schritt aus der Ohnmacht heraus.“ (Margarete Stokowski, Untenrum frei, S. 197).