Eine Frau schaut nach hinten. Sie nimmt eine abwehrende Haltung ein

Was ist eigentlich Victim Blaming?

Stell dir vor, du gehst zur Polizei, um eine Anzeige zu erstatten – und anstatt dir in Ruhe zuzuhören und den*die Täter*in ausfindig zu machen, suchen die Beamt*innen die Verantwortung für den Vorfall bei dir. Klingt schwer vorstellbar, ist aber für viele Menschen Realität – das Ganze nennt sich Victim Blaming.

Victim Blaming, zu Deutsch Täter-Opfer-Umkehr, beschreibt das Phänomen, bei dem Menschen die Schuld für ein traumatisches Ereignis dem Opfer zuschieben. Besonders häufig trifft man auf diese Art der Anschuldigung, wenn es um sexuelle Übergriffe oder Vergewaltigungen geht. Nicht nur von Mitmenschen, sondern auch von Richter*innen oder Anwält*innen werden den Betroffenen, meist Mädchen und Frauen, regelmäßig derartige Vorwürfe gemacht. Das beginnt mit Fragen wie „Was hattest du an?“, „Warst du betrunken?“ oder „Hast du oft genug nein gesagt?“ – die Liste ließe sich unendlich lang weiterführen. Auch im Bezug auf häusliche Gewalt ist Victim Blaming ein Thema. Opfer werden hier beispielsweise gefragt, wieso sie nicht sofort zur Polizei gegangen sind oder nach dem Vorfall noch immer in der Wohnung des*der Täter*in blieben – die psychologischen Aspekte einer solchen Straftat und die häufig bestehende Abhängigkeit von dem*der Partner*in werden hierbei vollkommen außer Acht gelassen. Klar ist: Mithilfe der genannten Kriterien lässt sich sexueller Missbrauch noch lange nicht rechtfertigen. Schließlich gibt es keinerlei Gründe für die Taten – außer dem*der Täter*in selbst.

Dennoch stellt Victim Blaming ein wachsendes Problem in unserer Gesellschaft dar. Im Unterbewusstsein vieler Menschen ist es noch immer fest verankert, dass freizügige Kleidung als eine Art „Einladung“ gilt. 2018 sorgte ein irischer Fall weltweit für Aufmerksamkeit: Im Zuge eines Vergewaltigungsprozesses wurde der Spitzentanga des 17-jährigen Opfers präsentiert – sozusagen als „Beweis“ dafür, dass sie dem Sex gegenüber nicht abgeneigt gewesen sein könne. Der Vorfall löste eine Protestwelle auf den Straßen Irlands und in den sozialen Medien aus. Unter dem Hashtag #thisisnotconsent („das ist keine Zustimmung“) posteten Menschen Fotos ihrer Unterwäsche und setzten sich für eine Reform des irischen Strafrechts ein. In dem europäischen Land war es zuvor schon häufig vorgekommen, dass Faktoren wie das Vorhandensein von Verhütungsmitteln oder die im Solarium gebräunte Haut eines Opfers als angebliche Beweismittel für die Unschuld des*der Täter*in eingesetzt worden waren.