GNTM Laufsteg Prosieben Germanys next topmodel Heidi Klum

Warum wir Germany’s next Topmodel nicht sofort abstempeln sollten

Es langweilt mich. Jedes Jahr, pünktlich zum Serienbeginn von Germany’s next Topmodel (by Heidi Klum), erscheinen dieselben Artikel in meinem Newsfeed. Jedes Jahr dieselbe Leier: Klum ist eine Hexe, Hayo und Michalsky ihre Marionetten, die Mädchen Puppen ohne Charakter. Die Show wird als sexistisch dargestellt und vermittelt in den Augen der Autoren von Spiegel, Süddeutsche und Co. nur schlechte, altmodische Werte. Einspruch!

Zuerst muss ich zugeben: Ich verfolge GNTM seit der ersten Staffel und habe bisher erst zwei davon nicht gesehen. Ich kenne alle Siegerinnen bei Namen und verpasse normalerweise keine Sendung. Ja, ich mag GNTM und ja, ich bin trotzdem ein intelligentes Mädchen mit Abitur und der Ambition, zu studieren. Und nein, ich lasse mich nicht von der Show manipulieren. Weder habe ich je eine Diät gemacht noch eins der Produkte, die in der Show platziert werden, gekauft. Ich kaufe mir meinen Mascara, wenn er leer ist – denselben, den ich schon seit fünf Jahren benutze. Und ich entscheide selbst, ob mir eine Bikinifigur wichtig ist oder nicht. Ich bin nicht traurig, dass ich nicht so aussehe, wie eins der Mädchen in der Show. Ich liebe mich so wie ich bin, ich bin im Gleichgewicht mit mir selbst und absolut zufrieden mit mir und meinem Körper. Wie, das passt nicht zusammen?

 

Die Anti-GNTM-Artikel bringen rein gar nichts

 

Was mich an den Anti-GNTM-Artikeln so stört? Sie bewirken rein gar nichts! Mit diesen vermeintlich gut gemeinten Artikeln, die arme unschuldige Mädchen davor beschützen sollen, von GNTM verdorben zu werden, verhält es sich wie mit Artikeln gegen die AfD: Man redet gegen eine Wand, es wird damit niemand erreicht. Denn das klassische GNTM-Klientel, zwölf bis 35-Jährige Mädchen und Frauen sowie vereinzelt auch Jungs und Männer, wird so einen SZ-Artikel wohl kaum konsumieren, und falls doch, sich deshalb nicht davon abbringen lassen ihre Lieblingssendung weiterhin anzusehen. 2,43 Millionen Zuschauer hatte das Finale von Germany’s next Topmodel im Mai 2017 an, das macht einen Marktanteil von 8,9 Prozent. In diesem Jahr waren es 21,1 Prozent der 14- bis 49-jährigen, laut ProSieben das beste GNTM-Finale seit 2013. Jedes Jahr schafft es die eiskalte, nie alternde Macho-Heidi aufs Neue zu punkten und zu unterhalten mit ihrem „Hühnerstall“.

Und die Siegerinnen sowie Ex-„Meeedchen“ fallen danach nicht automatisch in die unbedeutende Normalität zurück. Viele von ihnen nutzen die Show geschickt als Sprungbrett ihrer Karriere, bauen sich durch die Bekanntheit aus der Fernsehsendung auf Social Media enorme Reichweiten auf, von denen SZ und Co. nur träumen können. Als Alphatiere gelten Lena Gercke sowie Stefanie Giesinger. Giesinger lächelt regelmäßig auf den Covern namhafter Modemagazine wie Joy, InStyle oder der Cosmopolitan. Und bei weitem nicht alle nutzen ihre Reichweite auf Instagram für Beauty, Lifestyle und Mode. Anna Wilken beispielsweise widmet sich ihrer Krankheit Endometriose, klärt auf ihrem Kanal auf und nimmt Betroffenen die Hemmungen offen darüber zu sprechen. Wieso also wird immer wieder auf diese Sendung eingedroschen und ihre Konsumenten vorverurteilt?

 

Nur die Leistung zählt – wie in unserem Alltag

 

„Mehr als 135.000 junge Frauen haben sich in den vergangenen neun Jahren bei Germany’s Next Topmodel beworben. (…) Die Kandidatinnen sind nicht die Gewinner der Show. Sie sind der Rohstoff, mit dem Fernsehen, Werber und Heidi Klum Millionen verdienen“, schrieb die ZEIT in dem Artikel „Die Topmodelmaschine“. Selbstverständlich lebt die Sendung von Werbung und Produkten, wovon sonst sollen die Flüge und Villas der Mädchen bezahlt werden? Die Kandidatinnen melden sich freiwillig bei der Show an, mit gutem Wissen darüber, dass GNTM von Opel gesponsert wird. Würde sie es stören, sich mit Venus Gilette zu rasieren oder Meßmer Tee zu trinken, würden sie wohl kaum bei der Show mitmachen.

„Worauf es hier wirklich ankommt, ist nicht Persönlichkeit, Individualität, Charakter. Sondern Leistung“, las ich in einem SZ-Artikel vom Finalabend 2018. Moment. Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Es erinnert mich an mein eigenes Leben, ohne dass ich jemals an GNTM teilgenommen habe. Von der ersten Klasse an werden wir in Deutschland zu Leistungstieren erzogen. Note eins ist ein Musterkind, Note sechs ein schief geratenes. Werden Persönlichkeit, Individualität oder Charakter etwa in der Schule benotet? Allenfalls in den nett gemeinten ersten drei Sätzen des Jahreszeugnisses, die so bedeutend sind wie der Religionsunterricht. Wäre dies der Fall, ginge es in unserer karriere- und konsumgeilen Gesellschaft mit Sicherheit um einiges fairer zu.

 

GNTM ist nur ein Ableger des Kapitalismus

 

„Gut aussehen, Klappe halten, parieren.“ – Auch das kommt mir nur allzu bekannt vor. Egal ob in Schule oder Arbeit, sobald man eine eigene Meinung hat und diese selbstbewusst äußert – also nicht ins System passt – ist man anderen ein Dorn im Auge. Egal ob Deutschlehrer oder Chefredakteur. „Prinzip: möglichst formbare, austauschbare Mädchen vorführen und mit ihnen Geld verdienen. Ob sie nun Toni, Luisa oder Jacqueline heißen.“ Ja, das nennt sich Kapitalismus und GNTM ist nur ein Ableger davon. Unser ganzes Leben ist ein einziger Wettbewerb, in allen Bereichen. Wer hat die besseren Noten, die schönsten Klamotten, den hübschesten Freund, die reichsten Eltern, das teuerste Handy, das schnellste Auto, die meisten Likes auf Facebook und Follower auf Instagram. Jemand, der das bestreitet, macht sich gewaltig etwas vor. Das Wettbewerbsgen steckt in uns allen, bei manchen mehr, bei anderen weniger ausgeprägt. Deshalb ist es auch kein Wunder, warum Sendungen wie GNTM auch nach 13 Staffeln noch gehypt und angesehen werden.

„Eine große Mehrheit in Deutschland ist der Ansicht, die ProSieben-Castingshow ‚Germany’s next Topmodel‘ (GNTM) vermittele ein falsches Schönheitsideal. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov kurz vor Beginn der neuen Staffel veröffentlichte“, meldet die dpa.
Es stimmt, die meisten Teilnehmerinnen sind schlank, haben die perfekten Maße und ein bildhübsches Gesicht. Und auch wenn in jeder Folge die Worte „Personality“, „ein ganz besonderer Charakter“ oder „edgy“ fallen, geht es hauptsächlich um das Aussehen der Mädchen, danach und wie sie eben dieses einsetzen, werden sie bewertet. „Die Model-Casting-Show GNTM verdeutlichte [diesen Schlankheitswahn], indem sie selbst sehr schlanken Frauen vor laufender Kamera eröffnete, sie seien ‚zu dick‘. Dadurch wurde den Rezipienten, überwiegend junge und stark beeinflussbare Mädchen, verdeutlicht: Nur derjenige, der dem Schönheitsideal entspricht, wird von der Gesellschaft als ‚schön‘ empfunden“, schreibt Svenja Preisler in ihrer Bachelorarbeit zum Schönheitsideal der Frau in den Medien, aus dem Jahr 2010.

 

Die Sache mit dem Schönheitswahn

 

Nach acht Jahren sind diese Worte aktueller denn je. Soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram verstärken diesen Schlank- und Schönheitswahn enorm. Ich höre einige meiner Freundinnen oft sagen: „Wenn ich mir 30 Minuten lang Bilder in Instagram ansehe, fühle ich mich danach total dick und hässlich“, selbst wenn es wunderschöne Mädchen sind. Längst nicht jeder steht selbstbewusst vor dem Spiegel und akzeptiert sein Äußeres wie es ist. Wir leben mittlerweile in einer Gesellschaft, in der alles möglich scheint. In der man sich für 100 Euro falsche Wimpern und Nägel kaufen, und für ein bisschen mehr die Nase oder Brüste operieren lassen kann. In der Filter und Photoshop auf einmal jeden Mensch „schön“ machen und die Fitness-Industrie boomt wie nie zuvor. Welche Auswirkungen hat es für junge Frauen, wenn sie die Kandidatinnen bei Germany’s next Topmodel im Fernsehen sehen und sich selbst mit ihnen vergleichen? „Denn was die Sendung verschweigt: Die in der Sendung präsentierten Körperproportionen von mindestens 1,76 Meter Körpergröße bei einer Kleidergröße von höchstens 36 sind absolute Ausnahmeerscheinungen. Nur eine von 40.000 Frauen entspricht in Größe, Figur und Gewicht den Anforderung eines Laufstegmodels (Hawkins, 2004)“, schreibt die Medienwissenschaftlerin- und Pädagogin Maya Götz in ihrer Arbeit „Sexualität und Medien: Super dünn, super sexy und zu allem bereit – Die Hypersexualisierung im Kinder- und Jugendfernsehen und ihre Folgen.“

Wie müssen sich die restlichen 39.999 fühlen, wenn sie die eine „Perfekte“ in der Castingshow sehen und diese dann auch noch von den Juroren kritisiert wird? Wie kann man dann jemals ideale Schönheit erreichen?

 

Die Show entwickelt sich weiter

 

Zugegeben, GNTM hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. So nahmen in den letzten Staffeln vermehrt außergewöhnliche Charaktere wie Melina, Giuliana oder Soraya (Transgender Models) sowie Pia und Sarah (Curvy Models) teil. Dennoch peitscht Heidi ihre Mädchen aus wie Tiere und selektiert eiskalt. Mit einem Fingerschnips lässt sie die Träume der Kandidatinnen zerplatzen, kennt dabei keine Gnade. Ich möchte mit meinem Text weder eine Lobeshymne auf GNTM singen und die Auswirkungen der Show auf junge Mädchen verharmlosen, noch Heidi Klum verteidigen. Natürlich ist die Show auf gewisse Art und Weise oberflächlich und materiell – wie wir es alle sind. Sie ist eiskalt und wertend, wie unser alltägliches Leben. Sie hätte jedoch Potenzial, indem sie den jungen Mädchen da draußen vermittelt: Ihr alle, jede einzelne von euch, ist wunderschön, und zwar auf ihre eigene Art und Weise. Egal ob blond oder braun, klein oder groß, dick oder dünn. Mit ihrer individuellen Persönlichkeit.