Ghostwriting

Ich bin Ghostwriter. Na und?

Dieser Text ist eine Zusammenarbeit mit der Ghostwriting-Agentur ACAD WRITE.

Mein Name ist Benjamin Meyer. Das stimmt natürlich nicht, aber als Ghostwriter ist es mein gutes Recht, jeden Tag einen anderen Namen zu verwenden. Abgedruckt wird er schließlich sowieso nicht. Denn als Ghostwriter ist es meine Aufgabe, akademische Arbeiten für andere zu schreiben, die sie dann in ihrem eigenen Namen abgeben. Damit bin ich quasi ein Söldner der Forschungsarbeit.

Eigentlich bin ich Literaturwissenschaftler oder so ähnlich. Zumindest kann ich behaupten, dass ich ein Studium der Literaturwissenschaft mit ausgezeichnetem Erfolg absolviert habe und auch die Promotion in diesem Fachbereich anstrebe. Der Ingenieur oder BWLer, der nach seinem Studium genau weiß, wo er Stellenausschreibungen finden wird, denkt sich jetzt wahrscheinlich: Literaturwissenschaft, WTF?!

Dabei handelt es sich um einen durchaus berechtigten Gedankengang. Jeder, der die feinen Künste der Narration und Lyrik oder ein ähnliches „Orchideenstudium“ studiert oder studiert hat, kennt folgenden Satz mit Sicherheit nur allzu gut: “Und was macht man dann damit?“ Auch diese Frage ist berechtigt. Wie oft kommt es schließlich vor, dass jemand DRINGEND eine Analyse von irgendeinem Schiller-Gedicht benötigt? Wie ich mittlerweile weiß: gar nicht so selten.

Studenten mit einer Deadline im Nacken

Doch es sind nicht etwa die großen Verlagshäuser oder die Feuilletons der Tageszeitungen, die solche Arbeiten beauftragen. Nein, es sind verzweifelte Studenten mit einer Deadline im Nacken, die meinen Service in Anspruch nehmen. Meist suchen sie online nach einem akademischen Ghostwriter, entscheiden sich für eine der großen Agenturen und stellen dort eine Anfrage. Früher oder später landet der Auftrag dann in meinem Postfach.

25 Seiten über die postmoderne Postulation des Körpers in Foucaults Überwachen und Strafen? Aber klar doch, das Honorar stimmt. Nachdem ich mich um den Auftrag beworben und ihn erhalten habe (meistens klappt das, meine Arbeit genießt bei den Agenturen einen guten Ruf ;-), steht üblicherweise eine Telefonkonferenz mit dem Klienten an. Zumindest die seriöseren Agenturen bieten diesen Service, damit sich Kunde und Ghostwriter besser abstimmen können. Für mich als Autor ist es auch eine gute Gelegenheit, herauszufinden, mit welchem Level an Schwachsinnigkeit ich konfrontiert bin. Denn zugegebenermaßen sind nicht alle Kunden verzweifelt, manche sind einfach zu blöd, um ihre Arbeit selbst zu schreiben. Oder auch zu faul und zu reich. Aber als diskreter Ghostwriter urteile ich nicht über die Motive meiner Klienten.

Zu verzweifelt, zu untalentiert, zu dumm oder zu schlau

Für den Auftragsverlauf ist es jedenfalls hilfreich, den Kunden in der Telefonkonferenz etwas besser kennenzulernen. So mancher, dessen Rechtschreibung sich in den zuvor ausgetauschten Nachrichten als etwas eigenwillig herausgestellt hat, entpuppt sich als überraschend kompetenter Gesprächspartner. Das sind in der Regel meine Lieblingskunden: Sie verstehen ihren Fachbereich, wissen, wie ihre Arbeit aussehen soll, aber sie tun sich schwer dabei, es selbst schön formuliert aufs Papier zu bringen.

Dann gibt es noch die Kunden, die tatsächlich dumm sind oder sich zumindest für das komplett falsche Studium entschieden haben. Auch das sind meistens angenehme Kunden, zumal sie üblicherweise schlau genug sind, mir als Experten freie Hand zu lassen.

Und dann gibt es noch die Kunden, die wissen, dass sie unglaublich intelligent sind. Das sind die wirklich harten Fälle. Neulich erklärt mir eine Kundin in einer E-Mail, die fast so lang ist wie das von ihr gewünschte Essay, dass sie sich für die Analyse von T. S. Eliots Love Song of J. Alfred Prufrock die Interpretation wünscht, dass die Frauen im Gedicht Unabhängigkeit und Selbstständigkeit repräsentieren, weil die Frauenbewegung während des Ersten Weltkriegs erstarkt war (das stimmt, die Damen schmissen den Laden, während die Herren an der Front waren). Meine wiederholten Hinweise, dass das Gedicht zwischen 1910 und 1911 und damit vor Beginn des 1. Weltkriegs verfasst wurde, umgeht die Kundin in weiteren seitenlangen E-Mails geschickt. Letztendlich kommt mir die Agentur zur Hilfe und unterstützt mich dabei, der Kundin die Gesetzmäßigkeiten der zeitlichen Kausalität zu erklären.

„Ich mache meine Hausaufgaben normalerweise selber, aber …“

Meiner Beobachtung zufolge haben etwa 80 % der Kunden ein Bedürfnis, sich ihrem Ghostwriter gegenüber zu rechtfertigen. Der Satz „Ich mache meine Hausaufgaben normalerweise selber, aber …“ fällt meist früh im Gespräch. Ein guter Teil der Klienten befindet sich tatsächlich in einer Notsituation. Eine junge Mutter mit einem behinderten Kind, deren Studienplan kurz vor dem Auslaufen ist, ein erkrankter, nebenberuflicher Student, dem der Prof die Masterarbeit zurückgeworfen hat … Aber es gibt natürlich auch die, denen es um Bequemlichkeit geht. Beispielsweise der junge Münchner, der übers Wochenende nach Thailand fliegen will und kein Problem damit hat, ein paar tausend Euro für die Seminararbeit hinzublättern, die am Montag fällig ist, oder der Rentner, der erst einem jüngeren Semester den Studienplatz wegnimmt und dann einen Ghostwriter anheuert, nur um den akademischen Titel auf dem Grabstein stehen zu haben. Ihnen zu helfen, erfordert schon ein gewisses Maß an moralischer Flexibilität.

Aber grundsätzlich mag ich meinen Job. Kein cholerischer Chef, keine nervigen Kollegen und keine Bürozeiten, die meinen Biorhythmus martern, dabei durchaus respektable Entlohnung, von der meine ehemaligen Kommilitonen in ihren Burger-Jobs nur träumen können. Und wenn mir tatsächlich mal ein Kunde zu anstrengend wird, kann ich es mir leisten, zu sagen: „Mach doch selber“. Die meisten kommen dann auch zur Vernunft.

Ob es mir etwas ausmacht, dass mein Tagwerk stets im Namen von anderen erscheint? Nein. Wer auf die Lorbeeren aus ist, hat im Ghostwriting-Business nichts verloren. Ich nehme lieber das Geld, schlage beim nächsten Steam-Sale zu und suche das Erfolgserlebnis im hart erarbeiteten Highscore. Aber zugegeben: Wenn ich darüber nachdenke, dass ich in den letzten Monaten drei Masterarbeiten fertiggestellt habe und dann einen scheuen Blick auf den Schreibtisch werfe, auf dem sich die Unterlagen zu meiner eigenen Dissertation seit Jahren stapeln, fuchst es mich manchmal doch. Vielleicht sollte ich ein paar Monate vom Ersparten leben und das Ding endlich fertigbringen, danach aus dem akademischen Söldnerdienst an ein universitäres Institut wechseln, dort die Habilitation ins Auge fassen und Professor werden? Wenn ich die staubigen Kanzleien und gähnenden Hörsäle auf dem Weg dorthin visualisiere, biete ich meine Fähigkeiten lieber weiterhin am freien Markt an.

Letztendlich verspricht der Job als Ghostwriter vor allem eines: Unabhängigkeit. Vielleicht sollte ich selber mal übers Wochenende nach Thailand fliegen.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz