Gleichgestelltes Island? Mehr als die Hälfte der Frauen streikt

Es ist der größte Streik seit 48 Jahren: In Island haben über 100.000 Frauen ihre Arbeit niedergelegt und fordern mehr Gleichberechtigung. Dabei gilt der Inselstaat schon seit vielen Jahren als der absolute Spitzenreiter, wenn es um die Gleichstellung von Mann und Frau geht.

„Wenn Island das Paradies für Frauen ist, habe ich Angst, wie der Rest der Welt aussieht“

Ein hartes Urteil, welches Drífa Snædal da im Spiegel-Interview fällt: Die Isländerin hat den aktuellen Streik mitorganisiert und hat das ganze Lob und die Bewunderung der Welt satt. An jeder Ecke höre man, Island sei das gleichberechtigtste Land der Welt – wovon die Frauen vor Ort aber nur wenig merken würden, meint sie.

Wie passt also das Image des Landes mit der Lebensrealität der Frauen zusammen? Island ist in Vergleichen des Weltwirtschaftsforums seit 14 Jahren Spitzenreiter bei der Gleichstellung: An keinem anderen Ort ist die Gender-Pay-Gap so gering, nirgendwo sonst gehen so viele Väter in Elternzeit und das Land hat den höchsten Anteil an arbeitenden Frauen.

„Besser“ heißt nicht gleich „gut“

Doch nur, weil Island im internationalen Vergleich am besten dasteht, heißt das nicht, dass es dort paradiesisch zugeht: Snædal sagt etwa im Interview, dass jede vierte Isländerin mindestens einmal in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erlebt habe – meist innerhalb einer Partnerschaft oder in der Familie.

Und obwohl das Land ein Equal-Pay-Gesetz hat, seien die Gehälter von Frauen im Durchschnitt trotzdem um 21 Prozent niedriger als die der Männer. Das liege daran, dass Berufe mit hoher Frauenquote bis heute systematisch schlechter bezahlt werden. Als Beispiel nennt Snædal, dass Männer ohne Ausbildung etwa in die Fischerei oder Aluminiumindustrie gehen könnten und trotzdem gut verdienen würden. Besonders schlecht sieht die Sache für Migrantinnen aus, die würden noch schlechter bezahlt werden.

Wofür streiken die Frauen?

Die Frauen wünschen sich daher eine bessere Anerkennung ihrer Arbeit. Die Berufswelt Islands sei nämlich noch immer sehr geschlechterspezifisch aufgeteilt: In der Fischerei arbeiten größtenteils Männer, in den Schulen Frauen. Das Hauptproblem sieht Snædal darin, dass typische „Frauenberufe“ weniger Wertschätzung erfahren als „Männerberufe“ – auch in monetärer Hinsicht. Momentan arbeiten die Organisatorinnen des Streiks daher an einem Pilotprojekt für eine Kommission, die die verschiedenen Branchen des Landes im Blick behält und für gerechtere Gehälter sorgen soll.

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Bildquelle: chris robert via Unsplash, CC0-Lizenz