festivals-frauen-und-sicherheit

„Eine Frau muss nackt übers Festival laufen können, ohne dass ihr was zustößt“

Sommerzeit ist Festivalzeit. Viele von uns verspüren in dieser Jahreszeit verstärkt den Wunsch, für ein paar Tage aus dem Alltag zu entfliehen und mit Dosenbier, Zelt und den besten Freunden im Gepäck toller Musik zu lauschen. In dem kleinen Paralleluniversum der Wochenend-Feierei lässt man den Unistress sofort hinter sich und genießt das Leben. Dabei gehören Party, Rausch und ein wenig Kontrollverlust für viele der Besucher zu einem gelungenen Festivalwochenende dazu.

 

Hier könnt ihr lesen, warum wir Festivals einfach lieben: Eine Liebeserklärung an: Das Open Air-Konzert

 

Eigentlich ein viel zu schönes Szenario, um es zu zerstören. Doch das passiert immer wieder, wenn nach Festival-Wochenenden die ersten Berichte über Gewalt oder sexuelle Übergriffe die Schlagzeilen füllen. Jüngstes und schockierendenBeispiel ist das schwedische Bråvalla-Festival. Laut der schwedischen Polizei wurden während des Festivals vier Vergewaltigungen gemeldet, 23 Fälle von sexueller Belästigung, 13 Übergriffe und eine sexuelle Nötigung.

 

Das sagt die Expertin

 

Schon im Jahr zuvor wurden dort fünf Vergewaltigungen und zwölf sexuelle Übergriffe bekannt. Für das nächste Jahr ist das Festival aufgrund dieser alarmierenden Zahlen abgesagt worden. Fakt ist, sexuelle Übergriffe finden auch an Orten statt, an denen Frauen Festival-Bändchen am Arm tragen und eigentlich nur ausgelassen feiern wollen.

Wir haben mit Maike Bublitz über dieses Thema gesprochen, die beim Frauennotruf München arbeitet. Eine gemeinnützige Einrichtung mit dem Ziel, Gewalt gegen Frauen und Mädchen entgegenzuwirken und die Betroffenen zu unterstützen. Zusammen mit einigen anderen Organisationen betreiben sie seit 15 Jahren das Erfolgsprojekt „Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen“, deren Ziel es ist das individuelle Sicherheitsgefühl von Frauen auf dem Oktoberfest zu erhöhen.

 

ZEITjUNG.de: Wieso gibt es keine speziellen Servicepoints auf den deutschen Festival-Geländen, wie etwa auf der Wiesn?

Maike Bublitz: Der Bewusstseinsprozess bei diesem Thema ist oftmals sehr langwierig. Bei der Aktion „Sichere Wiesn“ zum Beispiel hatten wir anfangs auch Realisierungsprobleme. Um ein solches Projekt aufzuziehen, bedarf es einiges an Durchhaltevermögen: Sexuelle Gewalt auf Großveranstaltungen ist ein heikles Thema, mit dem sich Veranstalter nicht unbedingt schmücken wollen. Das Beispiel der „Sicheren Wiesn“ zeigt jedoch auch, dass sich die Arbeit lohnen kann, denn inzwischen ist es ein echtes Erfolgsprojekt. Gerade nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2016/17 in Köln entstanden in mehreren Städten Anlaufstellen in Anlehnung an unser Projekt. Man merkt deutlich, dass sich da einiges tut und das ist auch sehr gut und wichtig. Ich denke, dass die Sicherheitskonzepte der Festivalveranstalter in Zukunft überarbeitet werden.

 

Was können Polizei und Veranstalter außerdem noch tun, um Vorfälle dieser Art zu unterbinden?  

Verstärkte Kontrollen im Sinne von Kameraüberwachungen sind keine Lösung, dadurch geht das Freiheitsgefühl und auch der Spaß der Festivalbesucher immer mehr verloren. Eine offensive Herangehensweise der Veranstalter und eine klare Message gegen sexuelle Gewalt wären ein guter Schritt in die richtige Richtung. Diese könnten dann in Form von Flyern und Plakaten publiziert werden. Das richtet sich vor allem an potentielle Täter, aber auch Opfer. Es macht deutlich, dass ein solches Verhalten auf der Veranstaltung ernst genommen wird und einen sofortigen Rausschmiss mit sich bringt. Natürlich ist nicht sicher, dass dies auch den Letzten von seiner Tat abhält.

Bei Großveranstaltungen und Festivals kommen Tausende auf engstem Raum zusammen, eine hundertprozentige Sicherheit kann auch nicht von Seiten der Polizei oder der Veranstalter gewährleistet werden. Die Verantwortungen vollständig an diese Instanzen abzugeben, funktioniert nicht. Polizei, Politik und Justiz sind bei der Aufklärung und Verurteilung der Täter gefragt. Gerade hierbei ist sehr viel Luft nach oben: Eine Vielzahl der sexuellen Gewalttaten wird gar nicht erst angezeigt, und diejenigen, die die zur Anzeige gebracht werden, müssen aufgrund von Mangeln an Beweisen häufig fallen gelassen werden.

 

Woran liegt es, dass sich die Betroffenen oftmals nicht trauen, die Tat zu melden?

Bei Sexualdelikten ist die Dunkelziffer leider generell sehr hoch. Man geht davon aus, dass nur circa jede zehnte bis zwanzigste Vergewaltigung überhaupt bis zur Anzeige gebracht wird. Gerade auf Festivals ist die Wahrscheinlichkeit, den Täter wiederzufinden, sehr gering. Außerdem ist oftmals Alkohol im Spiel, viele Opfer meinen daher, sie seien an der Tat selbst schuld. Das ist natürlich nicht der Fall. Zudem wird die Tat oftmals bagatellisiert und heruntergespielt, sodass sich die Opfer über die Schwere der Tat unsicher sind. Jede Grenzüberschreitung sollte jedoch ernst genommen werden. Dabei sind auch die Gesellschaft und der Staat gefragt.

Mit der Reformierung des Artikel 177 „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ im Strafgesetzbuch wurde inzwischen der rechtliche Grundstein gelegt und die Gesetzeslage verschärft. Das ist vielen Menschen gar nicht bewusst. Auch hier gilt es, umfassender zu informieren. Wichtig zu wissen ist außerdem, dass 75 Prozent der Täter aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld der Opfer kommen. Die Übeltäter sollten daher nicht immer nur im Außen gesucht werden.

 

Wie können sich Frauen konkret im Gedränge großer Events selbst schützen? 

Meine langjährige Kollegin Alexandra Stigger hat den Spruch geprägt: „Eine Frau muss nackt übers Festival laufen können, ohne, dass ihr was zustößt.“ Und genau so sehe ich das auch, denn die Würde des Menschen ist unantastbar und das gilt überall – auch aufs Festivals. Gerade solche Orte sollten ein Platz der Freunde und Unbeschwertheit sein. Die Realität sieht bedauerlicherweise anders aus. Einen hundertprozentigen Schutz in unserer Gesellschaft gibt es leider nicht immer und das Risiko eines sexuellen Übergriffs ist in viel zu vielen Situationen leider gegeben, daher bietet der Frauen-Notruf Selbstverteidungskurse für Frauen an.

Auf der Internetseite der „Sicheren Wiesn“ sind konkrete Tipps und Ratschläge für eine solche Gefahrensituation zu finden, welche sich auf Festivals übertragen lassen. Außerdem ist es wichtig, auf das eigene Gefühl zu vertrauen, dieses ernst zu nehmen und im Ernstfall aktiv Hilfe zu suchen. Das wichtigste ist, dass den Frauen bewusst sein muss, dass sie auf ihr eigenes Frühwarnsystem und ihre Intuition hören können und sollten. Hier ist es wichtig, wehrhaft zu bleiben und sich nicht zu sehr mit Alkohol oder Drogen zu betäuben. Von vornherein ist es außerdem sinnvoll, nur in Gruppen auf dem Festival unterwegs zu sein.

 

Wie verhalte ich mich konkret als Außenstehender in einer solchen Gefahrensituation?

Zivilcourage ist der richtige Weg: Eingreifen und Stellung beziehen ist in solchen Situationen sehr wichtig. Da ist jeder Besucher und jede Besucherin des Festivals gleichermaßen aufgefordert. Auf den Wiesn hängen beispielsweise Plakate mit der der Forderung: „Schau hin und sag Stopp!“ Die klare Einstellung gegen sexuelle Übergriffe sollte jeder Festivalbesucher teilen. Auf Großveranstaltungen besteht außerdem jederzeit die Möglichkeit, das Sicherheitspersonal um Hilfe zu bitten und das ist in einer solchen Situation auch der richtige Weg. Grundsätzlich muss ein Bewusstsein für diese Problematik geschaffen werden. Denn dieses Problem wird immer größer, wenn man es ignoriert. Auf Musik-Festivals ist daher besonders eine offensive Haltung gegen sexuelle Gewalt essenziell. So wird den möglichen Opfern von vornherein Schutz geboten und mutmaßlichen Tätern der Spielraum genommen.