Wie es ist, als Nordlicht in Bayern zu leben
Dialekte sind was Verrücktes. Vor einigen Monaten zog es mich aus dem hohen Norden in den fernen Süden Deutschlands. Neben positiver klimatischer Veränderungen wurden mir vor allem die sprachlichen Unterschiede ziemlich schnell deutlich.
Das fing schon bei dem allerersten Gespräch mit meinem neuen Mitbewohner an: Wir kannten uns circa fünf Minuten und ich wollte das Gespräch etwas auflockern. Neben den guten alten Wettergesprächen eignen sich in solchen Situationen auch Dialekte als Small-Talk-Thema Nummer 1. So gut wie jeder in Deutschland lebende Mensch kommt im Laufe seines Lebens mit den verschiedensten Mundarten in Berührung. Sie verbinden regionale Besonderheiten, historische Hintergründe und das Wichtigste: Heimatgefühl. Da sitz ich nun also in meiner neuen WG-Küche und schneide mein Dialekt-Smalltalk-Thema an: Als waschechtes Nordlicht plaudere ich nicht mit Leuten, sondern ich schnacke. Ob man in Bayern wohl auch schnackt? Mein Mitbewohner schaute mich nach der Frage etwas irritiert an und erzählte mir von dem Wort schnackseln. Ich freue mich über die Ähnlichkeit der beide Worte und das Thema war vorerst gegessen.
Der kleine, aber feine Unterschied von „Schnacken“ und „Schnackseln“
Circa zwei Wochen später wollte ich meine neuste Dialekt-Errungenschaft in einem Gespräch einfließen lassen. Ich erzählte, dass ich noch ein wenig in einer Bar war und mit meinem Kollegen bei einigen Augustinern geschnackselt hätte. Erneut bekam ich einen irritierten Blick zu sehen, nach einigem peinlichen Hin und Her wurde mir mein Sprach-Fail bewusst. „Schnackseln“ hat nichts mit meinem norddeutschen Wort „schnacken“ zu tun, sondern ist eine Umschreibung von Sex haben. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, in welche kolossale Fettnäpfchen ich aufgrund dieses Missverständnisses in Zukunft noch getreten wäre.
Sprachassimilierung at its best
Natürlich ließ ich mich nicht beirren und war weiterhin bemüht, die Feinheiten des Bairischen zu verstehen und mich sprachlich etwas anzupassen. Unsere schriftdeutsche Sprache entstand circa im 15./16. Jahrhundert, die ältesten altbairischen Texte hingegen stammen aus dem 8. Jahrhundert. Das wirklich sympathisch klingende Kauderwelsch ist also nicht nur für die meisten Außenstehenden ziemlich unverständlich, sondern auch verdammt alt. Mit der Zeit eignete ich mir dialektische Worte wie „Daheim“ oder „Radl“ an, bei denen konnte ich nicht viel falsch machen und „Daheim“ beschreibt so viel besser das Heimatgefühl als das Wort „Zuhause“. Eigenarten wie die Nennung eines Artikels vor Vornamen sind für mich auch eine positive Neuheit. Im Norden würde man dies höchstens bei kleinen Kindern anwenden, in Bayern ist es jedoch Gang und Gäbe. Ich finde, dass dies eine Würdigung der verschiedenen Vornamen ist und schnell übernahm ich diese Eigenart in meinen aktiven Wortschatz.
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Ich erwische mich trotzdem immer wieder dabei, wie ich zur Begrüßung „Moin“ sage, und dass man „Servus“ sowohl zur Begrüßung als auch zur Verabschiedung sagt, irritiert mich auch nach wie vor etwas. So unterschiedlich die Mundarten auch sein mögen, so wohl das Bayerische als auch das norddeutsche Platt sind die beliebtesten Dialekte der Deutschen. Heute verschwinden die Dialekte leider immer mehr im Nirvana. Nur noch jeder vierte oder fünfte Deutsche spricht die meiste Zeit Mundart. Und das finde ich wirklich schade.
Ausdruck von Mentalitäts-Unterschieden und Heimat
Eigentlich sind die kleinen sprachlichen Eigenheiten das, was unsere Heimat ausmacht, in ihnen zeigen sich regionale Mentalitäts-Unterschiede und hinter ihnen stecken die verrücktesten Entstehungsgeschichten. Und ganz werden regionale Begrifflichkeit wie „Einmal um den Pudding gehen“ hoffentlich auch nie verschwinden. Während alle aus Norddeutschland stammende Leser nun wissend mit dem Kopf nicken werden, stößt man bei Süddeutschen eher auf erstaunte Gesichter und Gelächter. Bei uns im Norden, vor allem im Raum Bremen, geht man eben nicht eine Runde mit seinem Hund spazieren, sondern einmal um den Pudding. Wie genau diese Redewendung entstand, ist nicht ganz sicher. Eine Theorie besagt, dass sie von einem bremischen Dr. Oetker Mitarbeiter stammt, der bis zum Abkühlen des berühmten Puddings immer eine kleine Runde mit seiner Familie spazieren ging.
Damit die Mundarten nicht komplett in Vergessenheit geraten, gibt es in Bayern Vereine zur Rettung des Bairischen – und in Hamburg lernen die Schulkinder immer wieder häufiger Platt. In den verschiedenen Mundarten lässt es sich saftig schimpfen und fluchen und das ist mit dem geschwollenen Hochdeutsch oftmals nicht möglich. Denn was wäre Hamburg ohne sein Schietwetter und Bayern ohne sein „fei“? (Ich habe bis heute nicht so recht verstanden, was das überhaupt heißen soll. Inzwischen wird über das kleine Wörtchen „fei“ sogar geforscht).