Annalena Baerbock

Wer hat Angst vor Annalena Baerbock?

Ein weiteres „Problem“, auf das im Kontext Baerbocks oft hingewiesen wird, ist ihr Geschlecht. Nein, allein die Tatsache, dass sie eine Frau ist, macht sie (außer in den Augen einiger weniger) natürlich nicht zu einer schlechten Kandidatin – so viel Fortschritt haben auch wir in Deutschland bereits erreicht. Vielmehr ist es ihre Rolle als Mutter, die den Menschen im Land scheinbar zu schaffen macht. In zahlreichen Interviews wurde die potenzielle Kanzlerin bereits danach gefragt, wie sie es schafft, Familie und Beruf zu vereinbaren – eine durchaus berechtigte Frage, die den Männern in der Politik jedoch nur selten gestellt wird. Auch Markus Söder hat Kinder im schulpflichtigen Alter, Armin Laschets Sprösslinge sind mittlerweile erwachsen, haben sicherlich aber auch das ein oder andere Mal unter der Karriere ihres Vaters „leiden“ müssen. Bei erfolgreichen Frauen wie Annalena Baerbock nimmt die Debatte um Vereinbarkeit jedoch eine neue Dimension an: Im Netz finden sich mehrfach Kommentare, die ihre Kandidatur offen kritisieren und sich um die Auswirkungen auf ihre 2011 und 2015 geborenen Kinder Sorgen machen. Andere Menschen drehen das Ganze ins gegenteilige Extrem: Baerbock sei eine „Powerfrau“, sie würde zeigen, dass Mütter es ja doch schaffen können, zwischen Kindergarten und Gute-Nacht-Geschichten eine Karriere zu verwirklichen. Ja, die grüne Kanzlerkandidatin hat Power – aber nicht deshalb, weil sie ihren Job und ihre Familie irgendwie unter einen Hut bekommt. Das sollte nämlich eigentlich selbstverständlich sein. Und so lange es das noch nicht ist, weitet man das Interesse an dieser Gegebenheit am besten auf Frauen und Männer aus – oder verzichtet gänzlich darauf, sich bei Politiker*innen nach der Gestaltung ihres Privatlebens zu erkundigen.

Unabhängig davon, ob sie 40 ist oder 60, weiblich oder männlich, etabliert oder unbekannt, hat Annalena Baerbock jedenfalls einiges vor. Sie fordert eine Transformation der deutschen Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit, einen Kohleausstieg bis 2030, den Ausbau von ganztägigen Betreuungsangeboten und eine Verringerung der sozialen Ungleichheit. Damit vertritt sie starke Positionen, die vor allem bei der jungen Generation gut ankommen. Ob Baerbock die richtige Kanzlerin für Deutschland ist, muss – und darf – schließlich jede*r für sich entscheiden. Bis dahin sollte man ihr jedoch nicht zu viele Steine in den Weg legen – zumindest nicht mehr als allen anderen auch. Denn letzten Endes bleibt auch sie nur eine Kandidatin, die das Recht hat, ihre Ambitionen zu verfolgen: Ohne Zwischenfragen zu Kindern, reißerische Headlines oder den hundertsten Vorwurf, sie wäre nur wegen ihres Geschlechts Kandidatin der Grünen geworden.

Mehr Texte zum Thema:

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!
Bildquelle: Pressefoto gruene.de