Laura Schwengber, 28, dolmetscht Musik für Gehörlose
Als die Verbindung von Skype zwischendurch nachlässt und wir uns nicht mehr hören, fragt sie mich, ob ich Gebärdensprache kann. Denn das ist nun mal die Kommunikationsart, die noch möglich ist, wenn der Ton ausfällt, sei es für zwei Minuten oder ein ganzes Leben. Leider kann ich es nicht. Aber nach diesem Gespräch werde ich mir definitiv überlegen, es zu lernen. Denn ich will nachempfinden können – auch wenn das nur ansatzweise möglich ist -, wie Gehörlose dank dieser Frau Musik wahrnehmen können.
Laura Schwengber ist Gebärdensprachdolmetscherin und eine der ersten in Deutschland, die auf Konzerten Musik für Gehörlose dolmetscht. Und zwar nicht nur den Text, sondern auch Melodie, Rhythmus und Emotionen. Sie steht mit den Bands auf der Bühne und interpretiert die Live-Musik für Gehörlose. Ich spreche mit ihr via Skype, denn sie bereitet sich gerade zuhause in Berlin auf den ZDF Fernsehgarten vor, der zum ersten Mal live gedolmetscht wird. „Konzerte und Musikvideos zu dolmetschen, ist meine Hauptaufgabe. Aber das führt im zweiten Schritt dazu, dass überlegt wird, wie die ganze Gesellschaft barrierefreier gestaltet werden kann„, erklärt sie.
Laura versprüht so viel Lebenslust, Energie und Freude, dass sie mich sogar über einen Bildschirm damit ansteckt. In dem Gespräch merke ich: Einen Menschen wie sie braucht es, um eine Gesellschaft zu sensibilisieren. Einen Menschen wie sie, der mit so viel Spaß und Engagement auf einer Bühne steht und jedem Einzelnen im Publikum den gleichen Spaß ermöglicht.
Wie wird man Pionierin?
Doch ihr Plan war das nie. Denn die 28-Jährige wollte zwar auf die Bühne, allerdings träumte sie davon, selbst als Sängerin am Mikrofon stehen. Wie kommt eine Hörende überhaupt zur Gebärdensprache? „Mit 12 habe ich meinen besten Freund Edi kennengelernt, der in der darauffolgenden Zeit taub und blind geworden ist. Wir haben damals ausschließlich Pokémon zusammen gespielt und es hat mich irgendwann echt genervt, immer lauter sprechen zu müssen. Dann haben wir uns über Berührungen über die Pokémon-Figuren ausgetauscht. Danach ging es weiter zu Buchstaben. Das war mein Einstieg in diese andere Art von Kommunikation.“ Aber das war Freizeit – ein Beruf in dem Feld war für sie damals noch nicht denkbar. „Als mir meine nette, aber sehr direkte Gesangslehrerin sagte, dass aus mir keine Sängerin werden würde, sagte Edi, ich sollte das mit den Gebärden doch richtig lernen. Also zog ich nach Berlin und wurde Gebärdensprachdolmetscherin.“
Mit der Ausbildung knüpfte Laura noch mehr Freundschaften mit Gehörlosen. Und wie unter Studenten eben üblich, wurde gefeiert und die ein oder andere Schnapsidee entstand. So auch das Dolmetschen der Musik im Club. Während Laura so auf der Tanzfläche stand und Texte wie „Ich liebe dich, lass uns ganz viele Kinder kriegen“ in Gebärdensprache übersetzte, verstand das der ein oder andere schon mal als Liebeserklärung. Und dann kam die Anfrage von einer Volontärin des NDR, die mit ihrem Abschlussprojekt über gedolmetschte Musikvideos alles ins Rollen brachte.
Von der Ausdruckstänzerin zu Kraftklub
Inzwischen kann sie behaupten, mit Revolverheld, dem Babelsberger Filmorchester und Kraftklub auf der Bühne gestanden zu haben. Was die Presse anfangs noch mit „Ausdruckstanz“ betitelte, wurde schnell zu einem ernstzunehmenden Erfolg. Den kann sie allein nicht mehr stemmen und hat deshalb ein Team aus mehreren Dolmetschern und Leuten, die managen und organisieren.
„Für mich ist der Zugang zu Kultur ein Menschenrecht. Das darf nicht an einer Person hängen. So wie ich mir aussuchen kann, ob ich Britney Spears oder Marteria höre, muss sich ein tauber Mensch aussuchen können, ob er das von mir mit meinem Stil oder jemand anderem mit einem anderen Stil sehen möchte“, sagt Laura.
Denn, was ich schnell begreife: Was Laura da auf der Bühne macht, ist weit weg vom sturen Dolmetschen. Aber wie funktioniert das genau? „Erst nehme ich den Text und dolmetsche den. Und dann schaue ich, wie die Gebärden auf die Musik passen können. Ich muss gleichzeitig die Klarheit der Gebärden für das Verständnis behalten und sie abwandeln je nach Rhythmus und Melodie.“
Wenn man Laura zusieht, sieht es tatsächlich ein bisschen aus wie Tanzen. „Ich versuche, mit dem ganzen Körper zu dolmetschen. Dabei übernehme ich auch gerne den Ausdruck des Sängers.“ Rhythmusgefühl sei dabei unersetzlich, sagt Laura. Gerade, wenn sich die Bandmitglieder untereinander nicht ganz einig sind. In einem Nebensatz fügt sie lachend hinzu: „Nie montags auf ein Konzert gehen! Da herrscht auch in Bands Montagsblues.“ Aber auch Melodieverständnis sei wichtig. „Die Gebärde ‚Welle‘ ist ein schönes Beispiel. Die kann ich nämlich in verschiedenen Höhen und Tiefen tanzen lassen. Aber wenn ich einen Klang einfach nur schön finde, kann ich keinen Melodieverlauf darstellen.“
Dolmetscher oder Künstler?
Es ist viel Mimik. Es sind riesige Bewegungen und dann wieder ein Zusammenziehen. Es ist mit dem Gitarristen zu tanzen. Und ohne ihre eigenen Emotionen geht es gar nicht. „Ich schaue in der Vorbereitung immer zuerst: Was macht der Titel mit mir?“ Damit bewegt sie sich weit aus dem Rahmen des klassischen Dolmetschens. Sie muss den Schritt nochmal tun, den der Sänger macht, wann er das Notenblatt und den Text vor sich liegen hat. „Ich frage mich: Was war der Prozess des Sängers? Welche Emotionen stecken darin und mit welchen Mitteln transportiert er sie? Das übertrage ich dann in mein Medium.“ Da kann man hinterfragen, ob sie noch Dolmetscherin oder schon Künstlerin und Interpretin ist.
Mit der Band vorher zu üben klappt meistens allerdings nicht. Doch Laura weiß auch, dass sie Umstände macht, und versucht deshalb, so wenig Aufwand wie möglich zu sein. „Ich bringe meine eigene Technik mit, habe eine genaue Anleitung für die Bühnentechniker und recherchiere Texte selbst. Erst, wenn Dolmetschen von Musik normaler ist, kann man anfangen, Ansprüche zu stellen.“