
Studie bietet neue Hoffnung in der Therapie von Legasthenie
„Was ist Legasthenie?“ – Diese Frage lässt sich inzwischen leicht beantworten: Eine angeborene Lese-Rechtschreibschwäche (kurz LRS), die sich bereits im Kindesalter bemerkbar macht. Was wir aber noch nicht genau kennen, sind ihre Ursachen. Die Technische Universität (TU) Dresden hat in der Beantwortung dieser Frage einen bedeutenden Schritt gemacht, was neue Arten der Therapie für Legasthenie eröffnen könnte.
Eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Prof. Katharina von Kriegstein untersuchte den visuellen Thalamus – eine Gehirnregion, die bisher kaum erforscht wurde, da sie so schwer zu untersuchen ist. Frühere Studien deuteten bereits darauf hin, dass Veränderungen im bewegungsempfindlichen Teil des visuellen Thalamus eine Rolle bei Legasthenie spielen könnten. Diese Vermutungen basierten allerdings auf post-mortem Untersuchungen – also nach dem Tod – und wurden bislang nicht an lebenden Menschen nachgewiesen. Die neue Studie der TU Dresden bestätigt nun, dass der Thalamus eine zentrale Rolle bei dieser Lernstörung spielen könnte.
Was macht der visuelle Thalamus?
Er ist eine wichtige Schnittstelle im Gehirn und verbindet die Augen mit der Großhirnrinde. Diese Region ist in zwei Teile unterteilt: Der größere Teil ist auf die Verarbeitung von Farben spezialisiert, während der kleinere, bewegungsempfindliche Teil für die Erkennung von Bewegungen zuständig ist.
Ein detaillierter Blick auf den Thalamus
Den Wissenschaftler*innen gelang es nämlich, den visuellen Thalamus mittels hochauflösender Magnetresonanztomographie (MRT) detailliert zu untersuchen. Die Technologie wurde in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig eingesetzt. Zum Einsatz kam ein spezielles MRT-System, das über einen besonders leistungsstarken Magneten verfügt und es ermöglicht, auch sehr kleine Strukturen im Gehirn sichtbar zu machen. Da der bewegungsempfindliche Teil des visuellen Thalamus extrem klein ist – etwa so groß wie ein Pfefferkorn – waren herkömmliche MRT-Technologien bisher nicht in der Lage, diesen Bereich mit ausreichender Präzision zu erfassen.
Die Studie der TU Dresden basiert auf einer Stichprobe von 25 Menschen mit Legasthenie und 24 Kontrollpersonen ohne. Die Ergebnisse würden eindeutig zeigen, dass bei Menschen mit Legasthenie der bewegungsempfindliche Teil des visuellen Thalamus strukturelle und funktionelle Veränderungen aufweist. Diese Veränderungen könnten direkt mit den typischen Symptomen der Legasthenie in Verbindung gebracht werden, insbesondere bei männlichen Probanden. Das deutet darauf hin, dass es bei Männern und Frauen möglicherweise Unterschiede in der Ausprägung gibt.
Neue Perspektiven für Therapie und Diagnose
Prof. Katharina von Kriegstein erklärt, dass die Ergebnisse eine langjährige Hypothese über die Hirnfunktion bei Legasthenikern bestätigten. Es sei nun bewiesen, dass der visuelle Thalamus bei Menschen mit Legasthenie anders arbeite als bei Personen ohne diese Lernstörung. Dies könne ein Schlüssel sein, um die Ursachen von Legasthenie besser zu verstehen und die Therapie zu verbessern.
Die Wissenschaftler*innen der TU Dresden sehen in ihren Ergebnissen einen wichtigen Ansatzpunkt für die zukünftige Therapie und Diagnose von Legasthenie. Dr. Christa Müller-Axt, die ebenfalls an der Studie beteiligt war, erklärt, dass die Entdeckung der thalamischen Veränderungen zu neuen Therapieansätzen führen könnte. Bisher hätten sich viele Forschungsbemühungen bei der Legasthenie auf die Großhirnrinde konzentriert, während der Thalamus weitgehend unbeachtet geblieben sei. Doch nun sei klar geworden, dass der Thalamus eine viel größere Rolle spielt, als bisher angenommen.
Legasthenie betrifft weltweit etwa 5 bis 10 Prozent der Menschen und führt häufig zu erheblichen Schwierigkeiten im schulischen und beruflichen Umfeld. Die Lernstörung äußert sich vor allem in Problemen beim Lesen und Schreiben, was oft zu anhaltenden Leistungsschwierigkeiten und emotionaler Belastung führt. Trotz der hohen Prävalenz der Störung waren die neurobiologischen Ursachen bislang unzureichend erforscht. Dies lag unter anderem daran, dass hochauflösende MRT-Systeme, wie sie in der aktuellen Studie verwendet wurden, nur begrenzt verfügbar sind und die Kosten für solche Untersuchungen sehr hoch sind.
Die Zusammenarbeit mit dem Bundesverband für Legasthenie und Dyskalkulie e.V. war entscheidend für den Erfolg der Studie, da dadurch eine größere Zahl von Probanden gefunden werden konnte.
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