Liebeserklärung an: das Familienfest, das eigentlich gar nicht so schlimm ist

Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!

Im Kalender ist es fett markiert, die Ausrufezeichen wirken mahnend und auch etwas panisch. Eigentlich würde man diesen Sonntag lieber einfach skippen, aber das Rot des Filzstiftes sticht unausweichlich ins Auge: Familienfest. Und zwar mit allen. Auch mit Onkel Herby, der mit einem Fuß schon im Grab steht, Tantchen Lisbeth, die eigentlich gar nicht weiß, warum sie hier ist, und mit der dritten Ehefrau des Cousins zweiten Grades und all seinen Kinder, die sich über die Zeit und Ehen angesammelt haben.

Liebes Familienfest,

eigentlich bist du ja der Schwiegereltern-Graus schlechthin, ein Hindernislauf mit den tiefsten und triefendsten Fettnäpfchen und fruchtbarster Boden gewaltigster Eskapaden. Du bietest eine Bühne erster Klasse, auf der sich Trauerspiel und Komödie die Hand reichen, ein grotesker Karneval alles frei improvisiert und doch steckt jeder seit Jahren in derselben, ihm auf den Leib geschneiderten Rolle. Diese Rollen abzulegen lässt du nicht zu. Du magst keine Veränderung, Entwicklung und Fortschritt sowieso nicht – außer es ist die Problemnichte, die endlich einen anständigen Mann geheiratet und ein Baby bekommen hat.

Wenn wir aber diese Panik vor dir ablegen, wenn der Schlachtplan (den man hoffentlich nicht braucht, aber sicher ist sicher) gegen die nervige Schwägerin ausgearbeitet ist und wir wissen, Diskussionen über Religion und Politik lassen wir lieber, dann könnten wir uns doch eigentlich echt auf dich freuen, oder? Und ein Schauspiel wird es eh, warum also nicht gleich die Popcorn einpacken und den Nervenkitzel genießen? Schließlich gibt es auch immer wieder spannende News, juicy secrets und im Grunde ganz viel Liebe. Die gesamte Verwandtschaft ist in einem Rutsch abgedeckt, da hat man höflicherweise alle mal wiedergesehen und man muss nicht mühsam tausend einzelne Termine festlegen. Und außerdem: Worüber soll man den Rest des Jahres reden, wenn man nicht über Cousine Emma ablästern kann?

Drama, das verbindet und neue Verbündete

Eigentlich ist es doch genau dieses alljährliche Drama, das jede Familie zusammenschweißt, sie einzigartig macht und ein Gefühl von Verbundenheit gibt. Diese Geschichten, die wir gemeinsam durchs Jahr tragen, die uns Identität und Zugehörigkeit geben. Die wir dann belustigt und mit etwas Selbstironie gerne weitererzählen, uns theatralisch darüber aufregen, aber schon gespannt sind, was das nächste Mal bringt. Und dass wir jedes Jahr dieselben Rollen spielen, ist ein nicht unbedingt willkommener dafür abwechslungs- und lehrreicher Ausflucht aus dem alltäglichen Leben: Mütter werden wieder zu Töchtern, Teenager zu den Babys der Familie, die eine Nichte übernimmt Jahr für Jahr den Posten des Troublemaker, obwohl sie längst als Anwältin arbeitet. Einen Tag lang sind wir eine Person im riesigen Schoß der Familie, wahrscheinlich die Person, die wir schon lange nicht mehr sein wollen. Und dann ist es doch um so viel besser, am nächsten Tag wieder ins normale Leben zu tauchen und zu schätzen, wie man sich entwickelt hat, und dass das normale Leben eigentlich so weit von all dem entfernt ist, was an diesem Sonntag gezählt und sich abgespielt hat.

Liebes Familienfest, du hast noch einen weiteren für mich speziellen Punkt, weshalb ich dich eigentlich cool finde: Du schweißt nicht nur, wie ich bereits gesagt habe, die große Familie zusammen, sondern du machst auch aus meiner engen Familie – das heißt aus meinen Eltern, meiner Schwester und mir – eine Gruppe Verbündeter, ein eingeschworenes Team, das sich, begeben wir uns dann auf dein Schlachtfeld, immer gegenseitig den Rücken freihält. In der mentalen Vor- und Nachbereitung entstehen bei uns die fiesesten und lustigsten Witze, wir diskutieren die skurrilsten Ideen, wie wir dich in Zukunft etwas aufmischen könnten oder was dieses Jahr die Highlights waren. Dank dir merke ich jedes Mal: Ich bin im richtigen Teil der Familie geboren. Für nichts in der Welt würde ich meine Schwester gegen die nervige kleine Cousine tauschen, für nichts in der Welt, hätte ich lieber den Porsche fahrenden Onkel als Papa.

Eine wunderbar aufregende Hassliebe

Trotz meiner vorsichtigen Liebeserklärung wirst du wohl deinen schlechten Ruf behalten, liebes Familienfest. Dafür bist du viel zu unveränderlich explosiv geladen und es gehört ja fast ein bisschen zum guten Ton, nur mit fettem Eye Roll an dich zu denken. Wenn wir aber lernen, das Eye Roll mit einem wissenden Schmunzeln zu verbinden, dann entsteht vielleicht eine wunderbar aufregende Hassliebe, die Jahr für Jahr den Hunger nach Drama und Stories etwas stillt. Denn niemand kennt uns wie unsere Familie, niemand kann uns mit wenigen Handgriffen so auf die Palme bringen, aber irgendwie liebt man sich trotzdem unendlich und freut sich ja doch wieder aufs nächste Jahr.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz