Eine Liebeserklärung an: Die Serie „The End Of The F***ing World“

Netflix hat sich zu Beginn des Jahres 2018 selbst übertroffen. Charmant, bitter böse und herrlich gesellschaftskritisch zeigen zwei Teenies aus England in der neuen Serie „The End Of The F***ing World, dass Fernsehen grandios sein kann.

Die Liebe zwischen James und Alyssa setzt genau in jenem intensiven Moment ein, der sich Pubertät nennt. Die Konstellation der Dinge ist jedoch maximal beschissen, denn die beiden Lovebirds sind auf der Flucht. Im gestohlenen Auto fliehen sie vor der Polizei, schlechten Eltern und dem großen gesellschaftlichen Ganzen. Dabei bilden sie die verstörendste, jedoch liebenswürdigste Bande, die moderne Netflix-Romantik hervorbringen kann. In den acht  20-minütigen Episoden wird – basierend auf dem gleichnamigen Comic von Charles S. Forsman – die Geschichte des herrlich skurrilen Liebespaares erzählt, gespielt von den wunderbaren Jungschauspielern Alex Lawther und Jessica Barden.

 

Ein Roadtrip in wunderschönen Bildern

 

Die klassische „Boy meets Girl“ Story kommt nicht nur roadtrippig im Stile von Bonnie und Clyde um die Ecke, sondern ist vor allem von Beginn an ein urkomisches Kuriositätenkabinett: Alyssa ist 17 Jahre alt, laut, rotzgörig und schwebt in der großen luftleeren Blase der jugendlichen Unverstandenheit. Eine Aura, die heranwachsende Halbstarke generell umgibt und mit großer Wucht nach außen trägt: Ey, smells like teenspirit! Genervt von ihrer eigenen Generation zertrümmert sie in der ersten Folge erst ihr Smartphone am Boden der Schulmensa und lädt aus einem Instinkt heraus ihre Wut am Nachbartisch des gleichaltrigen James ab, ein notorischer Einzelgänger.

Der wiederum weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Er selbst hält sich für einen Psychopathen und ist just in dem Moment mit dem Gedanken beschäftigt, dass er gerne einem Menschen das Leben aushauchen möchte. James, der als Kind den Selbstmord seiner Mutter miterleben musste, fühlt in sich kaum etwas. Das Unvermögen, Liebe für sich selbst zu empfinden, gipfelte mitunter darin, dass er in jungen Jahren seine ganze Hand in eine heiße Fritteuse steckt, um überhaupt irgendetwas zu spüren. So treffen die beiden verlorenen Seelen aufeinander. Alyssa sucht die Liebe, und James… nunja, James sieht in ihr das perfekte Opfer für seine Mordfantasien.

 

Clyde will Bonnie leider das Leben nehmen

 

Die Liebe aber ist ein komisches Ding. Die Verliebtheit um so mehr. James, der sein Leben lang aus Neugier kleine Tiere getötet hat, will endlich erfahren, wie es ist, einem Menschen aus Fleisch und Blut das Leben zu nehmen. Die Faszination des Todes ist so groß, dass auch sein Wunsch nach einem Mord nicht flöten geht, als er die rothaarige Alyssa besser kennen lernt – er wird sogar mit jedem Aufeinandertreffen stärker. Scheinbar unfähig, zu lieben, ist er an Alyssas Seite zu Beginn der Serie der schmächtige, blasse Teenager, bei dem er Zuschauer nicht sofort nachvollziehen kann, was sie an ihm findet. Selten hat James in Dialogen die richtigen Worte, wogegen Alyssa immer ein kritisches Wort zu viel hat. Und auch, wenn sie nur Hass für die ganze f**king Welt hat, gibt es für James eine unerklärliche Hingezogenheit. Sogar Körperkontakt ist mit ihm drin – solange er ihr bloß nicht seine vernarbte Fritteusen-Hand reicht. Und genau da passiert etwas zwischen den beiden, das sich wohl Zuneigung nennt. Eine Liebe, die auch aus der wunderbaren Gemeinsamkeit entsteht, die Welt mit kritischen Augen zu sehen, Dinge und vor allem andere Menschen in Frage zu stellen. Gedanken der beiden aus dem Off unterstreichen jede Szene, in denen oft nicht das gesagt wird, was eigentlich gedacht ist.

Ein unerwartetes Ereignis zwingt beide zur Flucht aus der eigenen Stadt. Der grandios gefilmte Roadtrip weg von der verhassten Gesellschaft ist steinig, denn beide haben weder einen Plan, noch Kohle, noch kriminelles Talent. Schnell hat die Polizei die junge Liebe auf dem Radar. Hier verschwimmen die Grenzen von „Gut gegen Böse“ auf urkomische Weise, denn auch das lesbische Polizeiduo hat eine eigene Geschichte im Hintergrund laufen. Die beiden Frauen sind James und Alyssa Gott sei Dank immer einen Schritt hinterher, bilden jedoch das wahrscheinlich sympathischste Polizistenpaar, das die Welt je gesehen hat.

 

Die Erwachsenen sind kein Vorbild in dieser Welt

 

Eine gewisse Traurigkeit und Düsterheit umspielt die Kulisse zu jeder Zeit. Die Bilder von idyllischen englischen Landschaften und hübschen Kleinstädten wirken bedrückend und verlogen. Erwachsene haben die deutliche Rolle der Vorbildlosen erhalten. Weder von Alyssas Mutter, noch von James verwitwetem Vater gibt es viel zu lernen. Während Alyssas Dad schon früh das Weite gesucht hat, heiratete ihre charakterschwache Mutter einen Mann, der seine neue Stieftochter weder wahrhaft als Familienmitglied sieht, noch als junge Frau ernst nimmt. Alyssa flucht und tobt wie Orkan um ihre Mitmenschen, aber wo wollte sie auch gelernt haben, Liebe zu anderen zu zeigen? Vor allem die Suche nach ihrem wahren Vater und Beschützer ist ein wichtiges Element ihrer Figur. Und so rührt die Szene zu Tränen, in welcher sie ihm endlich ihre Trauer ins Gesicht schreit. Dass sein Verlassen dafür gesorgt hat, dass sie sich ihr Leben lang fühlt, als hätte sie etwas falsch gemacht. Das Thema geht unter die Haut aller Menschen, deren Vater nicht für sie da war. Generell ahnt man schnell, wer hier das Leben verstanden hat – und es sind vielmehr die verschrobenen Teenies als die Erwachsenen dieser Welt.

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Eine Serie, die unsere Herzen bricht

 

Die Charaktere von „The End Of The F***ing World“ sind so wundervolle Antihelden, die den Zuschauer jederzeit vor die Frage stellen, wen man eigentlich weniger leiden kann – und wen man dringend in den Arm nehmen möchte. Die Serie schafft es völlig ohne Klischees, Figuren in vielfältigen Facetten zu zeichnen und ungeschönt dem Zuschauer zu zeigen. Wer Serien gerne in der deutschen Synchronisation ansieht, dem sei hier geraten, diese unbedingt im Original mit Untertitel anzuschauen. Der derbe britische Akzent der Schauspieler verleiht der Tragikomödie einen Charme, der im Deutschen leider absolut verloren geht. Der hervorragend ausgewählte Indie-Soundtrack ist ein Kontrast, der zusammen mit den gezeigten Szenen großes Potential hat, unsere Herzen zu brechen. Vor allem Fans von Serien wie „Love“, „Stranger Things“ oder „Easy“ werden dieses Schmankerl der Netflix-Geschichte lieben!