Liebeserklärung an: Die erste Reise alleine

Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!

 

Wir haben den Führerschein bestanden, sind in unsere ersten eigenen Wohnungen gezogen und haben nachts in einer Wiese liegend die Sterne beobachtet. All das sind unvergleichliche Momente, in denen wir uns so frei fühlen wie sonst nie. Mir hat bis vor Kurzem eines noch auf meiner To-Do-Liste gefehlt: Alleine reisen. Und dadurch habe ich mich so verändert, wie ich es nie erwartet hätte.

 

So weit weg wie nur möglich

Es war vor gut einem halben Jahr, als mir eine Freundin erzählte, sie gehe für ein Auslandspraktikum nach Kanada. Wow, dachte ich mir. Im selben Moment, in dem sie mir von ihrem Plan erzählte, schoss mir eine Idee durch den Kopf. Wir saßen in unserer Lieblingsbar und dementsprechend war es im wahrsten Sinn eine Schnapsidee: Ich wollte im Sommer wegfahren, das erste Mal ganz allein. Und während ich mir das in den Wochen danach nochmal durch meinen nüchternen Kopf gingen ließ, verfestigte sich diese doch recht spontan entstandene Vorstellung. Von Verpflichtungen, Deadlines und Erwartungen, die ich erfüllen sollte, hatte ich meine Nase mehr als voll – ich wollte weg.

Nicht mit Freunden und schon gar nicht mit meinen Eltern. Mein Ziel: Roadtrip durch Kanadas Osten. Die Reisevorbereitung waren eine mir sehr willkommene Prokrastination während der Klausurenvorbereitung. Durch Zufall fand ich eine günstige Verbindung. München – Toronto, neun Stunden Direktflug. Voller Vorfreude klickte ich auf „Jetzt buchen“ und markierte diesen Tag als offiziellen Beginn meines mir bevorstehenden Abenteuers.

 

Ich wollte es mir selbst beweisen

Je mehr Tage und Wochen bis zu meinem Abflug vergingen, desto mehr wuchs meine Aufregung. Würde ich das wirklich schaffen? Würde ich nicht sehr einsam in diesem riesigen Land sein? Was würde ich machen, wenn etwas schief laufen sollte? Solche Gedanken verdrängte ich komplett, im Gegensatz zu meiner Mama. Die hatte schon Wochen vorher die wohl größte Angst ihres Lebens. Aber auch davon ließ ich mir meine Abenteuerlust nicht vermiesen. Ich wollte mir selbst zeigen: Ich kann das.

Etliche Tage und neun Stunden später kam ich dann in Toronto an. Ohne Plan, wohin mich die kommenden Tage bringen würden – aber Hauptsache: Ich war endlich da. Mit einem großen Rucksack auf dem Rücken, dessen Gewicht für mich keine Rolle spielte, bahnte ich mir meinen Weg zu meiner Unterkunft. Dort packte ich meine wenigen Sachen aus, die ich dabei hatte. Lange würde ich hier sowieso nicht bleiben. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, durchströmte mich das bisher größte Freiheitsgefühl, das ich je erfahren habe. Klar, Führerschein war mit 18 das Coolste und meine erste Wohnung habe ich auch ziemlich gefeiert. Aber hier war ich von nichts und niemandem abhängig, ich konnte tun und lassen, was auch immer ich wollte. Wahnsinn.

 

Dein Selbstvertrauen macht einen Höhenflug

Alleine Entscheidungen treffen ist oft eine Herausforderung, fiel mir aber erstaunlich leicht. Wenn ich Pause machen wollte, tat ich es. Wenn ich bis spät in die Nacht im Pub sitzen wollte, tat ich es. Wenn ich Lust hatte, auf meinem Weg am Straßenrand zu halten und die unendlich weite Aussicht zu genießen, tat ich es. Wenn nicht, dann nicht. So einfach war es. Frei nach dem Motto „If I can make it there, I’ll can make it anywhere“ fuhr ich zwar nicht nach New York, dafür bis in den östlichsten Osten von Kanada. Mit jeder neuen Stadt, jeder neuen Straße, die ich in den kommenden drei Wochen entdeckte, wuchs diese Freiheit, die ihren Höhepunkt bei einer Tageswanderung erreichte.

Wenn du nämlich unendliche Kilometer durch den Wald läufst, an Felsen nach oben kletterst, nach Stunden endlich völlig verschwitzt oben ankommst und dann über das Ende des Horizonts hinaus schauen kannst – dann macht etwas BÄM in dir. Alle Sorgen, alle Ängste, die du bisher in deinem Leben hattest, sind für diesen Moment vollkommen verschwunden. Du stehst da, spürst den Wind auf deiner Haut und kannst nichts anderes fühlen als pures Glück. Du willst lachen, springen und deine Freude in die Welt schreien. Stattdessen konnte ich nur regungslos dastehen, ich war absolut überwältigt. Ich fühlte mich, als hätte ich einen Marathon gewonnen, nur, dass ich diesmal mein eigener Gegner zu sein schien.

Natürlich ist es nicht immer einfach, sich mit Kompromisslösungen zu arrangieren und Situationen so hinzunehmen, wie sie sind. Das ist übrigens das erste, was du in einem Hostel lernen wirst. Aber ich habe gemerkt, dass ich viel mehr kann, als ich mir je zugetraut hätte. Dass ich nicht ständig jemanden an meiner Seite brauche, der mir im Notfall die Hand reicht. Das war genau die Bestätigung, die mir zu dem Zeitpunkt gefehlt hatte.

Auf der Strecke von insgesamt 7000 Kilometern hatte ich mehr als ausreichend Zeit nachzudenken. Und heute bin ich mir sicher: Nur weil du alleine bist, bist du noch lange nicht einsam.

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Bildquelle: Veronika Reinhold