Drei Menschen mit Regenbogenflaggen und Demo-Plakaten

Linkssein früher und heute – ein Generationenkonflikt?

Auch auf internationaler Ebene wird beispielsweise von der Philosophin, Politikwissenschaftlerin und selbsternannten Feministin Nancy Fraser Kritik geäußert. Konkret kritisiert sie, dass ein zu starker Fokus auf Gruppenidentitäten und deren gesellschaftlicher Anerkennung dafür sorge, dass die individuellen Interessen der einzelnen Gruppen das Interesse der ausgebeuteten Klasse als Ganzes verdrängen. Somit führe die heutige Auffassung von Linkssein eben nicht zu sozioökonomischer Umverteilung und zur Beseitigung bestehender Ungerechtigkeiten. Häufig wird sogar argumentiert, dass das moderne Konzept von Linkssein eigentlich nur eine Form des Neoliberalismus sei.

Tatsächlich wird zunehmend das Wort „linksliberal“ verwendet – was paradox ist, da es zwei eigentlich völlig konträre wirtschaftspolitische Überzeugungen miteinander vereint. Gesellschaftspolitisch ergibt die Verwendung des Wortes hingegen Sinn, da die Werte Linker und Liberaler in dieser Hinsicht weniger weit auseinanderliegen. Schließlich sind sowohl Linke als auch Liberale Befürworter*innen der Idee, dass jeder Mensch uneingeschränkt so sein dürfen sollte, wie er ist beziehungsweise sein möchte, und dass diese Tatsache auch in bestehenden Gesetzen verankert sein muss. Allein in der Tatsache, dass das Wort „linksliberal“ aktuell so häufig verwendet wird, spiegelt sich also wider, dass der Fokus politischer Fragen im Allgemeinen zurzeit eher auf Gesellschaftspolitik liegt.

Die Tatsache, dass die moderne Auffassung von Linkssein identitätspolitische Fragen in den Vordergrund stellt, scheint der Linkspartei rein machtpolitisch betrachtet allerdings nicht sonderlich gutzutun.

Warum wird all das nur der Linkspartei zum Verhängnis?

Wenn sich all diese Tatsachen doch aber auf das gesamte linke Spektrum beziehen, warum mussten die Grünen, die gesellschaftspolitisch doch genauso links sind wie die Linkspartei, keine derartigen Stimmverluste verkraften, sondern konnten sogar noch Gewinne verzeichnen?

Das liegt einerseits sicher am Fokus auf dem Klimawandel, der zum Image der Partei gehört. Andererseits ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass es auch daran liegt, dass Grüne schon immer Identitätspolitik betrieben haben.

Die Stammwählerschaft der Grünen ist eine andere als die der Linken. Die Grünen werden typischerweise vom Bildungsbürgertum gewählt (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung). Ihre Wählerschaft war und ist privilegiert genug, um sich mit identitätspolitischen Fragen von Minderheiten beschäftigen zu können. Darum kommt es den Grünen zugute, dass der Fokus gerade auf genau dieser Art von politischen Fragen liegt.

Aber wie zuvor bereits argumentiert wurde, sind die ursprünglichen Wähler der Linkspartei eben nicht privilegiert. Sie haben klassischerweise ein geringes Einkommen, ein geringes Bildungsniveau und deswegen wahrscheinlich keinen Nerv, um sich Gedanken über Geschlechtsidentitäten, LGBTQIA+ -Rechte und Gendersprache zu machen. Sie gehören zur Arbeiterklasse und nicht zum Bildungsbürgertum.