Drei Menschen mit Regenbogenflaggen und Demo-Plakaten

Linkssein früher und heute – ein Generationenkonflikt?

Was hieß „Linkssein“ früher?

Der*die ursprüngliche, ganz klassische Wähler*in der Linkspartei ist ostdeutsch, einkommens- und bildungsschwach und ist Teil der Arbeiterschicht (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung).

Mein Opa ist in der DDR aufgewachsen und war insbesondere nach dem Mauerfall bekennender Sozialist. Er war treuer Wähler der Partei des Demokratischen Sozialismus und später dann der Linkspartei. Mein Opa war „links“ – aber ganz sicher nicht, weil er ein überaus toleranter Mensch war, der sich in besonderem Maße für die Gleichberechtigung sozialer Minderheiten eingesetzt hat, sondern weil er den Klassenkampf und die wirtschaftspolitischen Ansätze, die tief im sozialistischen Grundgedanken verankert sind, als sinnvoll empfunden hat.

Auch in der Zeit, in der unsere Eltern groß geworden sind, war die Frage danach, ob man links ist, in erster Linie eine Frage nach den wirtschaftspolitischen Überzeugungen. Braucht es einen starken Staat, der die Wirtschaft reguliert und das Einkommen gleich verteilt? Braucht es Vergesellschaftung, die dafür sorgt, dass Privateigentum zu Gemeineigentum wird? Das waren die Fragen, deren Beantwortung Aufschluss darüber gegeben hat, ob jemand links ist oder nicht.

Natürlich ging Linkssein auch damals in Teilen über rein wirtschaftspolitische Fragen hinaus. Auch damals bedeutete Linkssein nicht nur, antikapitalistisch, sondern auch antifaschistisch zu sein. Aber identitätspolitische Fragen haben damals keine wirkliche Rolle gespielt. Linke haben von der Enteignung der Banken gesprochen, vom Klassenkampf, von den Genossen, die überall auf der Welt gegen die ausbeuterischen Handlungen des kapitalistischen Westens und insbesondere der USA kämpfen. Linkssein scheint beinahe eine Aggression gewesen zu sein, offenbar viel rebellischer und härter als heutzutage.

Linksliberale und „Lifestyle-Linke“ – Kritik am heutigen Konzept von Linkssein

Heute ticken viele Menschen, die linke Parteien wählen, anders als damals. Das Konzept hat sich verändert. Mittlerweile ist Linkssein weniger eine Frage der Wirtschaftspolitik als eine Frage der Gesellschaftspolitik. Allgemein ist die politische Debatte, die sich ehemals vor allem auf „harte“ Fakten bezogen hat, weicher geworden. Die Fragen, über die öffentlich diskutiert wird und die somit natürlich auch die Außenwirkung einer Partei beeinflussen, sind zu einem beachtlichen Teil identitätspolitischer Natur.

Parteiübergreifend wird über alle möglichen Gruppierungen und den bestmöglichen Umgang mit ihnen gesprochen – egal, ob es sich um Impfgegner*innen, Mitglieder der LBGTQIA+ -Community oder religiöse und ethnische Minderheiten handelt. 

Das hat zur Folge, dass sich auch innerhalb der einzelnen Parteien viele Diskussionen um entsprechende Fragen drehen. Da linke Parteien anstreben, dass jeder Mensch unabhängig von seinem Glauben, seinem Geschlecht, seiner sexuellen Orientierung und seiner Herkunft die gleichen Rechte genießen sollte wie alle anderen auch, werden diese identitätspolitischen Ansätze, die einzelne Gruppierungen und deren Anerkennung in der Gesellschaft in den Vordergrund stellen, scheinbar zur Definition von Linkssein.

Einige alteingesessene Linke, wie beispielsweise Sahra Wagenknecht, kritisieren dieses Konzept mit der Argumentation, dass das Hervorheben identitätspolitischer Fragen nicht dafür sorge, dass tatsächliche Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Nach dem Motto: Was bringt es der Putzfrau, wenn sie politisch korrekt als Reinigungskraft bezeichnet wird, aber noch immer genauso wenig verdient wie zu der Zeit, als sie noch Putzfrau genannt wurde?