Marie Nasemann Bundestagswahl

Marie Nasemann: Gedanken zur Wahl

Marie Nasemann wurde ein halbes Jahr vor dem Fall der Mauer zwischen Ost-und Westdeutschland geboren und ist als Schauspielerin und Model natürlich viel unterwegs. Heute, 28 Jahre später, kommt sie nun zum ersten Mal so richtig mit dem Osten in Berührung. Die Wahl-Berlinerin spielt aktuell in dem Theaterstück „Ich,Uta“ in Naumburg und widmet sich an freien Tagen ihrem Onlineblog über faire und nachhaltige Mode und Naturkosmetik www.fairknallt.de.

„Würden wir nicht alle besser leben, wenn wir zu unseren Vorurteilen stehen?“, fragt mich mein Kollege Tom Baldauf in seiner Rolle als kampflustiger Markgraf Ekkehard der II. und weiter: „Deine Political Correctness geht mir auf die Nerven (…) Es ist so einfach wie ich es sage, am Morgen geht die Sonne auf, am Mittag nimmt sie ihren Lauf, und Abends geht sie unter. Fertig. So, wo sind jetzt meine Waffen?“

Ekkehard und Uta. Da prallen zwei Welten aufeinander. Nach meiner Vormittagsvorstellung und einem Mittagsschlaf schnappe ich mir meine Kamera und spaziere durch Naumburg. Schnell sind Motive gefunden, die mich reizen. Es ist nicht unbedingt der wunderschöne, alte Dom, in dem die echten mittelalterlichen Stifterfiguren, das Ehepaar Ekkehard und Uta aus Stein, verewigt stehen. Ich bin natürlich schon dort gewesen und habe mich brav in die Schlangen der Touristen eingereiht. Aber mich interessiert viel mehr, welche Menschen in diesem Städtchen leben und vor allem wie.

Naumburg liegt in Sachsen-Anhalt. In keiner Stadt in dem Bundesland ist die AfD-Anhänger-Quote so hoch wie hier. Nun ist Bundestagswahl und ich wollte doch eigentlich die Chance meines Engagements am kleinsten Stadttheater Deutschlands dazu nutzen, die Menschen hier im Osten kennenzulernen. Während ich durch die Straßen laufe, fällt mir auf, dass ich keinen einzigen Freund oder Verwandten habe, der im Osten aufgewachsen ist und mir davon schon einmal ausführlich berichten konnte. Von der schönen Saale aus laufe ich bergauf. Da sehe ich mein Opfer. Ein walkender, keuchender Mann um die 60 mit rundem Bauch und dunkelblauem Trainingsanzug. Er grüßt mich freundlich und wir kommen sofort ins Gespräch.

 

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Es geht erst einmal um das wunderschöne Naumburg und die Vorzüge des Umlands. Naumburger sprechen gerne über Naumburg. Genauso wie echte Berliner wahrscheinlich gerne über Berlin sprechen. Nur die Münchner grantln über ihre Heimatstadt, oder? Ich habe das Gefühl dem Mann kommt die Konversation genauso gelegen wie mir. Er kann sich vor dem Sport, zu dem ihn vielleicht seine Frau überredet hat, drücken und ich bekomme endlich meinen Einheimischenkontakt. Nach relativ kurzer Zeit schwenke ich das Thema auf die Bundestagswahl und frage ihn einfach gerade heraus, was er wählen wird. Ab jetzt verläuft das Gespräch sehr einseitig. „Wählen ist die Pflicht eines Bürgers“ sagt er. Ich bin d’accord und freue mich, dass wir hier einer Meinung sind. Er erklärt mir, welche Partei er aus welchen Gründen nicht mehr wählen kann. Die Grünen sagen, man soll Fahrrad fahren und fahren selber Auto, die Linken kann man generell nicht mehr wählen und der Presse kann man nicht mehr glauben. Ich bin weniger d’accord, aber viel zu schüchtern um dagegen zu halten.

Ich höre einfach nur zu. Naumburg ist manchmal romantisch einsam und die Straßen sind heute aufgrund des windig, grauen Herbstwetters besonders leer. Nur einmal kommt uns eine Frau mit zwei kleinen Hunden entgegen. Mein Begleiter ruft mir „Achtung!“ zu, ich erschrecke kurz und wir bleiben stehen und stellen uns seitlich, an die äußersten Kanten des Gehwegs und lassen die Frau mit den Hunden durch. Wir wären eigentlich locker alle laufend aneinander vorbei gekommen. Die Menschen in Naumburg sind sehr respektvoll. In Berlin macht einem keiner so schnell Platz auf dem Gehweg. Wir setzen unser Gespräch fort, aber unser Gang bleibt immer wieder abrupt stehen. Er entscheidet, wann wir gehen und wann wir halten. Er hält auch seinen Schritt an, wenn er mir eine Aussage besonders verdeutlichen möchte. Es macht mich ein bisschen nervös, ich wollte ihn ja nicht von seiner sportlichen Bewegung abhalten und wäre, wenn nötig auch schnell walkend neben ihm her galoppiert, um seinen Ausführungen folgen zu können.

Wenn er von der DDR spricht, beugt er sich manchmal zu mir herüber, er ist kleiner als ich und guckt mich von schräg unten an. Er wird leicht verschwörerisch im Ton und unterstützt Aussagen auch mit einem unkoordinierten Anstupsen seines Handrücken auf meinem Oberarm. Ich bekomme nun Einblicke in die DDR und was vor der Wende besser war. Höre von Gewerkschaften und Zusammenhalt und dass es früher das Frühstück noch vom Arbeitgeber gab. Und die Überwachung? Wir werden doch jetzt auch alle überwacht, sagt er und ich denke an die Überwachungskamera, die ich zehn Minuten zuvor fotografiert hatte. Hier, von diesen kleinen Geräten, die wir alle mit uns herum tragen. Die speichern doch auch alles ab und der Staat weiß, wenn er will, jederzeit wo wir sind. Das bringt mich ins Grübeln. Es geht dann auch gegen Ausländer. Das wären alles Arbeitsflüchtlinge. Jetzt protestiere ich doch.

 

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Er wähle die PDS, sagt er. Die einzige Partei, die man noch wählen kann. Ich schäme mich über mein politisches Unwissen und nehme mir, wie so oft vor, öfter Zeitung zu lesen. Oder wenigstens die ZEIT App öfter zu öffnen. PDS – da klingelt reichlich wenig bei mir. Nach langem Stehen an einer Weggabelung, wissen wir, dass sich die Wege jetzt trennen. Wir geben uns schließlich die Hände. Ich hätte ihn gerne in den Arm genommen und gedrückt, aber auch dazu fehlte mir der Mut. Dafür bitte ich ihn mit Nachdruck sich doch meine Vorstellung im Theater anzusehen. Zuhause öffne ich meinen Laptop und google die PDS. Die Partei des demokratischen Sozialismus ging 2007 in die Linke über. Man kann sie also seit 2007 nicht mehr wählen. Ich bin kurz enttäuscht von meinem drolligen Weggefährten. Aber irgendwie finde ich die Geschichte ja auch gut und trotz vieler Aussagen, die ich nicht teile, mochte ich diesen alten Mann.

Ich werde, wenn ich wieder in Naumburg bin, viel an die Saale gehen und nach ihm Ausschau halten. Und ihn dann zu den Wahlergebnissen befragen. Ich gehe zur Wahl. Beziehungsweise bin schon per Briefwahl „gegangen“. Geht hin, redet mit, trefft eine Wahl ohne Angst davor zu haben die falsche zu treffen. Ich wünsche mir, dass die AfD am Sonntag ordentlich abschmiert. Dass die Wahlbeteiligung sehr groß sein wird. Dass Deutschland weiterhin geprägt ist von demokratischen Grundrechten, offen und tolerant. Und ich wünsche mir, dass die Menschen wieder miteinander reden und keine Angst davor haben, aus Unkenntnis zu schweigen. Was kann schon groß schief gehen, außer dass irgendjemand weiß, dass man von Politik wenig Ahnung hat?

Da gibt es einen Vergleich in unserem Stück, der wohl auch auf uns Menschen zutrifft. „Wie Raupe und Schmetterling dasselbe Wesen sind und unterschiedlicher nicht sein können.“ Das ist Demokratie. Vielfalt ist doch schön! Und wir sind doch alle irgendwie gleich und wollen einfach in den Arm genommen werden. So wie Ekkehard und Uta in meinem Stück.

Meine nächsten und letzten Vorstellungen von „Ich, Uta“ am Theater Naumburg finden statt am: 29.9. / 30.9. / 13.10. / 14.10. / 15.10.

Bild: Marie Hochhaus für Fairknallt