Bortsch mit Brot

Wie es war, mit russlanddeutschen Eltern aufzuwachsen

Doch dass meine Erziehung und Familienkultur sich im Vergleich zu denen meiner, größtenteils deutschen, Freund*innen unterschied, wurde mir vor allem erst in der Pubertät bewusst. Denn meine Eltern hatten für alles strengere Regeln – dass ich jeden Tag Klavier üben musste, früher als alle anderen zu Hause sein musste und vieles nicht erlaubt bekommen habe, mal abgesehen von den grundsätzlich strengeren Erziehungsmaßnahmen. Alles Dinge, die ich mit ihrem russischen Hintergrund verband und umso mehr ablehnte. Ich hatte keine leichte Jugend und meine Eltern eine ebenso schwierige Zeit mit ihrer Tochter, die immer weniger von sich preisgab, log und sich immer weiter von ihnen abwandte. Es hat bis einige Jahre nach dem Abitur gedauert, gefördert durch die Distanz zu meinen Eltern, dass ich für sie und ihre Art Verständnis aufbringen konnte. Durch klärende und aufschlussreiche Gespräche mit meiner Mutter verstand ich, dass meine Eltern immer nur das Beste für uns im Sinn hatten, nach bestem Gewissen gehandelt haben und sie nur das weitergaben, was sie selbst erfahren und für normal empfunden haben.  

Zwischen den Kulturen als Chance 

Während ich mich vor allem in der Jugend für meine Eltern und meine Familie geschämt habe, weil sie mir zum Großteil so fremd waren, ich sie nicht verstand, wenn sie russisch sprachen und mich daher kaum mit ihnen identifizieren konnte, schätze ich heute meinen russischen Hintergrund umso mehr. Dabei hat es lange gedauert, mich und meine Familiengeschichte zu akzeptieren und wertzuschätzen, da ich selbst lange Zeit um jeden Preis als möglichst deutsch, möglichst „normal“ wahrgenommen werden wollte und ich immer auf der Suche nach Zugehörigkeit außerhalb meiner Familie war. Mittlerweile hat sich mein Blickwinkel stark verändert und ich bewundere vor allem, was meine Eltern von null auf aufgebaut haben, um uns Kindern ein besseres Leben bieten zu können. Dabei sind sie selbst die größten Leidtragenden, wenn es um ihre kulturelle Zugehörigkeit geht. Denn während sie in Russland als deutsche Faschisten und somit als innerer Feind wahrgenommen wurden, wurden sie auch hier in Deutschland nicht willkommen geheißen. Diese Zerrissenheit zwischen den Kulturen kann ich nur im Kleinen nachvollziehen. Umso größer ist meine Dankbarkeit für all die Möglichkeiten und Privilegien, die ich dank meiner Eltern heute habe – und die kulinarische Vielfalt beim Essen: Nichts geht über eine Portion Bortsch mit Schmand, ganz normal halt. 

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Bildquelle: Artemis auf Pixabay; CC0-Lizenz