Bild: Edward Cook

Sam Ryder und eine Klassenfahrt namens ESC

Es sind bewegte Zeiten für den britischen Musiker Sam Ryder. Am 14. Mai holte er mit seinem Song Space Man einen fantastischen zweiten Platz beim ESC, letzte Woche performte er auf den Jubiläumsfestlichkeiten von Queen Elisabeth II. Wir haben mit ihm über TikTok, Fallschirmspringen und die Lüge vom Griff nach den Sternen geredet. 

Lass uns ganz am Anfang anfangen: Wie bist du zur Musik gekommen, wer hat dich inspiriert?

Es ist wie mit den meisten Kindern: Sie sehen jemanden etwas machen und werden davon inspiriert. Am Ende versuchen alle Künstler genau diese Erfüllung und diesen Sinn in ihrem Leben zu finden – das ist der tiefgründige Weg, das zu erklären. 

Für mich war dieser Moment, als ich Iron Maden spielen hab sehen. Das hat mein Leben verändert. Ich bin ein großer, großer Fan (…).

Mit 14 habe ich angefangen Gitarre zu spielen und davon geträumt, der nächste Jimi Hendrix zu werden – aber ich bin nicht gut genug (lacht). In der Schule ging das dann mit den ersten Bands los. Am Ende geht es schließlich darum, die Liebe zur Musik greifbar zu machen. Auch wenn diese Bands teilweise sehr schlecht sind, ist das ein wichtiger Lernprozess. 

Du hast die Bands gerade erwähnt, später hast du auch auf Hochzeiten gespielt. 2020, zu Beginn der Pandemie, hast du schließlich mit TikTok angefangen. War das ein bewusster Schritt, um deine Reichweite zu erhöhen, oder einfach Langeweile?

Nein, ich hatte überhaupt keine Erwartungen. Es war also nicht irgendein strategischer Move. Es ging mir nur um die Liebe zum Singen. Du hast auch die Hochzeiten erwähnt: Ich war eigentlich seit Ende des Colleges im Baugewerbe tätig und habe das mit solchen Auftritten gemixt. Und das ist auch ein wichtiger Punkt. Als Musiker denkt man, dass man irgendeinem coolen Pfad folgen muss, damit man irgendwann ist, wo man sein will. 

Auf meinen Weg bezogen waren es nicht die coolen Dinge, die mir irgendeine Tür geöffnet haben. Bei Hochzeiten würden manche sagen, dass man das Musikersein schon fast aufgegeben hat. Da muss ich aber widersprechen. Hochzeiten gaben mir meine Stunden auf der Bühne und halfen mir dabei, mein Singen weiter zu verbessern. 

Weil wir gerade beim Thema sind: Was würdest du Menschen raten, die im Musikbusiness eine professionelle Karriere anstreben? Und welche Hindernisse musstest du in deiner Karriere schon überwinden?

Ich würde sagen, dass das größte Hindernis Prokrastination und zu viel Nachdenken sind. Sich auf einen Pfad zu begeben, der vielleicht für deine Freunde cool sein mag, kann zu einer großen Gefahr werden und ist auch ein toxischer Move. Das Problem ist, dass man nur darüber nachdenkt etwas zu tun. Du arbeitest an ein paar Songs, denkst zu viel nach und hältst dich damit nur auf, weil du eine Perfektion anstrebst, die nicht zu erreichen ist. Das endet dann damit, dass deine Arbeit im Mülleimer landet und du etwas Neues anfängst, ohne je etwas zu Ende zu bringen. 

Es ist aber unfassbar wichtig, Dinge zu Ende zu bringen. Auch wenn du es nicht veröffentlichst, setzt das eine ungeheure Energie frei. Du hast das Gefühl, Fortschritt zu machen. 

Oftmals liegt das daran, dass wir nicht uns versuchen zu beeindrucken, sondern beispielsweise Freunde oder Familie. Wir achten also zu wenig darauf, wie wir uns dabei fühlen. Also achte nicht darauf, was andere Menschen cool finden.

Lass uns über deinen ESC-Song Spaceman reden. Wenn du mich fragst, geht es in dem Lied um eine Person, die nach den Sternen greift, aber realisiert, dass sie alles Wichtige schon hat. Würdest du das auch so sehen?

Absolut. Ich bin beeindruckt, dass du das rausgelesen hast. Das Greifen nach den Sternen kann meinen, dass man versucht, einen bestimmten Lebensstil zu erreichen. Vielleicht ist es auch ein materielles Ziel wie ein Haus oder ein Auto. Wie jagen solche Ziele immer und denken, dass unser Leben erfüllter sein wird, wenn wir sie erst einmal haben. Wenn wir sie dann aber haben, schauen wir oftmals zurück und sehen, dass wir schon alles hatten und uns nicht so viel erfüllter fühlen. Das ist unglaublich klischeehaft das zu sagen, aber es geht um die Reise und nicht das Ziel. 

Und wie sieht das in deinem eigenen Leben aus? 

Ich sage zwar all diese Dinge, ich bin aber auch Teil des Problems (…). Ich könnte jetzt ein Beispiel geben und darüber reden, dass ich schon alles weiß, das tue ich aber überhaupt nicht (lacht). Aber mir fällt es auf und ich arbeite so hart wie möglich daran. Ich hoffe, dass ich eine lange Karriere haben werde, weiß aber auch, dass ich noch viele Herausforderungen vor mir habe. 

Wenn man auf Spotify Spaceman hört, sieht man ein Video von dir, wie du Fallschirmspringen machst. War es dein erstes Mal Fallschirmspringen?

Ja – merkt man das? Das Lachen auf meinem Gesicht (lacht)?

Ich habe mich nur gefragt, wie viele Sprünge du gemacht hast und ob es einen Creative Director gab, der dich mehrmals dazu gezwungen hat, weil du nicht schön genug in die Kamera geschrien hast.

Nein, nein (lacht). Es war ein Shot, bei dem ich versucht habe, in die Kamera zu schauen. Aber es ist das beste Gefühl. An jeden, der das hier liest: Wenn ihr darüber nachdenkt es zu machen, könnte ich es nicht mehr empfehlen. 

Vor dem ESC habe ich mir deinen Song angehört und habe mir nur gedacht: Auf keinen Fall kannst du den Song so hoch live singen. Und dann hast du es aber absolut geschafft. Auf deine Stimme bezogen: Würdest du sagen, es ist eher Talent oder Übung?

Zunächst einmal danke. Es ist ein schwerer Song, technisch sehr anspruchsvoll. Gerade im Fernsehen fällt so etwas immer sehr auf. Man kann fantastisch singen. Und dennoch: Wenn man es auf dem TV-Gerät zuhause ansieht, hört man sehr klar, wenn man einen Ton nicht perfekt getroffen hat. Dahingegen klingt in der Arena jeder einfach unglaublich – die Atmosphäre hilft hier natürlich auch. 

Aber bezüglich deiner Frage: Es geht um Konsistenz. Talent macht Spaß und ist etwas sehr Schönes. Man kann sich glücklich schätzen, wenn etwas von Anfang an läuft. Aber nicht viele von uns haben das. Wenn man talentiert ist, kann man sich auf seinen Lorbeeren ausruhen. Aber wenn jemand konstant an sich arbeitet, kann er seinen Traum leben. 

Am Ende hast du einen unglaublichen zweiten Platz erreicht – etwas, das die Prognosen schon vorhergesagt hatten. Hast du dich mit ihnen im Vorfeld des ESC auseinandergesetzt? 

Ich habe mich damit überhaupt nicht auseinandergesetzt – noch etwas, das ich raten würde. Wenn man etwas in diese Richtung macht: Je mehr Zeit man außerhalb des Internets verbringt, im Kern so etwas wie Kommentare meidet, die von einem selbst handeln, desto besser. Wenn sie zu positiv sind, glaubt man an seinen eigenen Hype. Das ist der Anfang vom Ende. Das ist genauso ein Fluch wie böse Kommentare. 

Und klar, böse Kommentare können echt weh tun. Die Menschen, die sich die Zeit nehmen, so etwas zu schreiben, sind wahrscheinlich gerade auch nicht in einer so guten Situation. Die beste Antwort darauf ist Liebe und Empathie. Aber noch besser: Sei einfach nicht so viel im Internet. 

Jetzt, rückblickend: Ich stelle mir den ESC wie eine große Klassenfahrt vor – würdest du das so unterschreiben? 

Ja, auf jeden Fall. Ich dachte davor, ich hätte ein Gefühl dafür, was Musik bedeutet. Ich tue mich schwer, das konkret zu artikulieren. Aber in einer Arena zu sein, in der jeder Mensch die Künstler so sehr unterstützt, war unglaublich anders zu allen Erfahrungen, die ich bis jetzt gemacht habe. Oftmals wird nur das favorisierte Team angefeuert. Aber das hatte der ESC nicht. Alles in allem eine unglaubliche Erfahrung und ich kann nur jeden Künstler dazu ermutigen, versuchen mal involviert zu sein. 

Danke für das Interview. Möchtest du noch etwas anmerken, das wir noch nicht besprochen haben? 

Gerne, danke für die Möglichkeit. Ich erfahre einfach so eine wundervolle Unterstützung aus Deutschland und ohne euch wäre ich nicht hier. Dafür möchte ich mich aus tiefstem Herzen bedanken. Danke an alle, die das hier lesen! 

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