Begegnungen im Taxi: Kino für die Meinungsfreiheit

Von Natalie Mayroth

Auf der Rückbank sitzen zwei Männer und eine Frau mit Kopftuch. Sie diskutieren über Hinrichtungen. Nicht alle sind einer Meinung. Sollen Diebe für ihre Taten sterben? Die Frau, sie ist Lehrerin, ist entschieden dagegen. Der Insasse daneben mit leicht aufgeknöpftem Hemd hält dagegen, das sei die beste Abschreckung für Nachahmer. Die Stimmung ist geladen. Der Dritte schweigt und der Fahrer des Taxis sieht ihnen im Rückspiegel zu. Das Gespräch wird abrupt beendet, als einer der Männer aussteigt. Ein paar Meter weiter ist die Lehrerin auch an ihrem Ziel und verlässt ebenfalls das Taxi.

Jafar Panahi kurvt mit seinem Taxi durch Teheran. Gezeigt wird eine Collage an Begegnungen mit kleinen Höhepunkten und Spannungsbögen, die sich mit jedem wechselnden Fahrgast erneut aufbauen. Er selbst inszeniert sich als reale Figur, die zum Teil von seinen Gästen erkannt wird. Fast 82 Minuten des Filmes spielen sich im geschützten Raum des Fahrzeuges oder darum herum ab – es ersetzt in diesem Fall ein Studio. Und trotzdem: Der Film spielt mitten in der Stadt. Die Perspektivenwechsel changieren zwischen dem Blick durch die Windschutzscheibe auf die großen und kleinen Straßenzüge der Metropole Teheran und Einstellungen von drei Minikameras, die auf Insassen und den Chauffeur gerichtet sind. Die für das iranische Kino typischen langen Szene-Einstellungen wechseln gefühlt manchmal erst nach fünf Minuten. An diese Entschleunigung muss man sich als westlicher Kinogänger erst mal gewöhnen.

 

Eine lockere Gesellschaftskomödie

 

Die Dialoge zeigen Einblicke in eine zerrissene Gesellschaft: Ein Schmuggler, der junge Filmstudenten mit Hollywoodstreifen versorgt, trifft auf zwei ältere abergläubische Damen, die in Goldfischen Seelenverwandte sehen. Die Anwältin und Menschenrechtlerin Nasrin Sotoudeh auf dem Weg zum Zentralfriedhof Behesht Zahra begegnet der jungen Nichte Panahis, die davon besessen ist, einen guten Film zu drehen.

Durch die Augen des Mädchens zeigt Panahi die bittersüße Realität: Nicht alles, was wahr ist, darf auch gezeigt werden. In der Schule lernt sie die Regeln, nach denen ein iranischer Film aufgebaut sein soll: Zu viel Melancholie ist nicht gut, Frauen und Männer dürfen sich nicht berühren und die Guten im Film sind daran zu erkennen, dass sie arabische Namen und keine Krawatten tragen, was paradoxerweise auch auf Jafar zutrifft. Je mehr sie beobachtet, desto klarer wird ihr, dass vieles, was sie erlebt und spannend findet, nicht in dieses Konzept passt.

Arbeit trotz Berufsverbot

 

Seit Langem wird Panahi unter Druck gesetzt. 2010 wurde der Regisseur wegen „Propaganda gegen das System“ zu sechs Jahren Haft und einem 20-jährigen Berufs- und Ausreiseverbot verurteilt. Deshalb erschienen seine letzten drei Filme („Geschlossener Vorhang“ 2013, „Das ist kein Film“ 2011) so wie nun „Taxi“ im Verborgenen. Noch vor Beginn des Filmfestivals meldete die „dpa“ Kritik aus dem Iran aufgrund der Wettbewerbsteilnahme. Doch Direktor Dieter Kosslick ist es wichtig, sich solidarisch zu zeigen. Nicht nur mit Panahi, sondern stellvertretend für andere Filmemacher. „Taxi“ läuft zusammen mit 19 weiteren Filmen im Wettbewerb um einen der beliebten Bären auf dem 65. Internationalen Filmfestspiel.

Im dokumentarischen Ansatz zeichnet Panahi mit Laiendarstellern durchkomponiert ein Portrait der iranischen Gesellschaft mit ihren Sorgen und Problemen. In knapp eineinhalb Stunden legt er humorvoll die Absurdität der iranischen Zensur dar, indem er sie selbst nicht zu ernst nimmt. Kein Kino für jedermann, aber großes Kino für die Meinungsfreiheit. Im Publikum während der Premiere im „Berlinale Palast“ befinden sich stellvertretend Panahis Frau und seine aufgeweckte Nichte, die auch auf der Leinwand zu sehen ist. Der Pressekonferenzsaal wird leer bleiben.

 

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Bilder: Celluloid Dreams