Tom Odell über die Monster in seinem Leben und seiner Musik
ZEITjUNG: Du hast deine Songs während der Quarantäne geschrieben. Was waren die größten Herausforderungen in dieser Situation und wie genau war dein Prozess des Musikmachens – hast du zuerst die Songtexte geschrieben und dann nach einer Melodie gesucht oder passiert das gleichzeitig?
Tom Odell: Die Komposition war weitestgehend vor dem Lockdown fertig und ich würde sagen, dass sich alle Lieder langsam entwickelt haben. Ich tendiere dazu, Lieder über einen langen Zeitraum zu schreiben. Man kann es sich wie einen Eisblock vorstellen, den man langsam abträgt. Dabei ist man sich nicht ganz sicher, was man da tut und irgendwann nimmt alles eine Form an. Wer weiß, wie lange es dauert aber… ok, vielleicht ist die Eisskulptur ein schlechtes Beispiel, die würde ja irgendwann schmelzen [lacht]. Aber ja, ich nehme mir Zeit für die Lieder. Der wesentliche Punkt, die durch Covid beeinflusst wurde, war das Aufnehmen. Ich habe in einem Studio in London angefangen und musste dann wegen des Lockdowns aufhören. Ein großer Teil des Albums – etwa die Häfte – entstand also im Schuppen in meinem Garten. Das war das erste Mal, dass ich das so gemacht habe. [denkt kurz nach] Ich würde sagen, dass sowohl Covid als auch Blacklivesmatter zwei wesentliche Unterbrechungen des Albums waren. […]
ZEITjUNG: Du meintest ja auch, dass das Album dein persönlichstes und politischstes sei. Welchen deiner Songs würdest du als den persönlichsten und welchen als den politischsten Song des Albums bezeichnen?
Tom Odell: Es ist schwierig, es auf diese Weise zu beurteilen. […] Ich denke, weil ich angefangen habe über meine Panikattacken zu schreiben, meinen Kampf mit ihnen und meiner mentalen Gesundheit, war das eine Art Befreiung und ich fühlte mich ermächtigt über alles zu schreiben, nachdem ich darüber geschrieben hatte. Es war, als hätte ich das größte Monster in meinem Leben besiegt – ich hatte keine Angst davor, über alles Mögliche zu schreiben. Gleichzeitig denke ich, dass es persönlich und vielerlei Hinsicht wirklich nach außen gerichtet ist, aber interessanterweise denke ich, dass ich durch den Blick nach außen mehr über mich selbst gelernt habe, als wenn man traditionell nach innen schaut, indem ich über Geld, Politik und alles dazwischen singe. Ich habe mehr darüber gelernt, wie ich mich fühle und das war sehr wichtig.
ZEITjUNG: Du hast mit einer Angststörung zu kämpfen gehabt und verarbeitest deine Erfahrungen damit in deinen Songs. Du beschreibst sie als viele Monster, nach denen du auch dein Album benannt hast. Welches ist das größte Monster, dem du dich stellen musstest und wie hast du es besiegt?
Tom Odell: Letztlich ist es mein eigener Verstand, das ist das größte Monster – den Schaden, den er bereit ist, sich selbst zuzufügen. Das ist möglicherweise das, was ich gelernt habe. Ich glaube aber nicht, dass die Ursache dafür bei mir liegt, sondern in der Welt, in der wir leben. Das große Problem mit dieser individualistischen Welt, in der wir leben, ist, dass wir zunehmend ermutigt werden, wir selbst zu sein, als Individuum, im Gegensatz zu dem, wie wir uns eigentlich entwickelt haben und wo wir am harmonischsten agieren – wir sind soziale Wesen, wir alle hassen es letztlich, allein zu sein, und doch bauen wir eine Welt, in der es so einfach ist, sich alleine wiederzufinden. Möglicherweise ist das das große Paradoxon der heutigen Zeit: Alles sagt uns, dass wir auf der ganzen Welt mehr denn je miteinander verbunden sind dank der Technologie. Aber gleichzeitig scheinen wir trotz der Technologie und der damit einhergehenden Bequemlichkeiten einsamer denn je zu sein.