Über Freundschaften: Ist das Zerbrechen denn unausweichlich?
Vielleicht teilt ihr mit mir das Gefühl von Sommer, den Geruch von warmer Haut, der Moment, wenn Zehen versuchen auf Kieselsteinen einen festen Stand zu finden, wenn sich das Wasser am Bauch fünfmal so kalt anfühlt wie an jedem anderen Flecken des Körpers und wir trotzdem ins kühle Nass wollen. Es ist einfach alles unperfekt perfekt. Doch was dieses Sommergefühl, zumindest für mich, ausmacht, sind dann doch nicht das Wasser, das Eis, das Wetter, die Freizeit. Es sind meine Freunde, die für mich seit mehr als 15 Jahren Sommer bedeuten.
Alle sieben Jahre wird aussortiert
Es heißt, wenn eine Freundschaft länger als sieben Jahre dauert, hält sie ein Leben lang. Dazu veröffentlichte der Soziologe Gerald Mollenhorst 2009 eine Studie, die sich mit der Frage auseinandersetzte, ob wir mehr und mehr vereinsamen. Er verneint sie, findet aber heraus, dass wir die Hälfte unserer Freund*innen nach sieben Jahren „austauschen“. Das verflixte siebte Jahr gibt es wohl auch in Freundschaften. Der Grund dafür ist schlichtweg, dass viele Freundschaften dem Kontext, in dem sie geschlossen werden, geschuldet sind. Fällt dieser weg, fehlen auch die Möglichkeiten, alte Freunde zu treffen. Dazu kommt, dass der neue Job oder die neue Stadt zu neuen Bekanntschaften führen, weswegen unser Zeitkonto ebenfalls sinkt.
Mit dieser Zahl im Hinterkopf überkommt mich ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit. Mit Sicherheit, die Welt ist schnelllebiger, wir verlieben uns in 10 Minuten und wer weiß schon, was der Job oder wo der Lebensmittelpunkt in einem Jahr seien werden. Und trotzdem haben diese langjährigen Freundschaften – sind sie auch dem Zufall geschuldet, irgendwann zur gleichen Zeit am gleichen Ort gewesen zu sein – dieses menschliche Aussortieren überlebt.
Ohne diese Freundinnen, wo wäre ich da?
Wenn ich ehrlich sein soll, einen netten Abend kann ich auch mit Leuten verbringen, die mir weniger nahe stehen. Das ist überhaupt kein Problem. Aber was diese tiefen Freundschaften im Gegensatz dazu auszeichnet, ist, dass man auch durch schlechte Zeiten geht. Ich erinnere mich an die Angst vorm Sitzenbleiben, Fälle von unnötigem und unausweichlichem Liebeskummer, selbstgemachtem Stress. Ich denke an Abende, wo wir kollektiv gemeinsam geweint und gefeiert haben. Erinnere mich an das existentielle Nichts nach Lebensabschnitten, an wehmütige Umzüge, an ernsthafte Tragödien. Ohne meine Freundinnen wäre ich wohl nicht an der Stelle, an der ich heute bin. Wahrscheinlich irgendwo am Leben zerschellt.
Auch die kürzlich veröffentlichte Langzeitstudie der Psychologin Dr. Rebecca Graber hebt den Zusammenhang zwischen Freundschaften und Krisen hervor. Enge Beziehungen, so findet sie heraus, helfen Resilienz aufzubauen und damit auch Hindernisse zu meistern.