Hannah, 28, hat Narkolepsie
„Es steht jemand vor meinem Bett und nähert sich langsam, ich kann ihre Anwesenheit körperlich spüren. Es ist das Mädchen aus dem Film The Ring. Ich versuche aufzuwachen, aber ich kann mich nicht bewegen.“ Hannah blickt mir bei unserem Interview ruhig in die Augen, während sie sich ihre Bong mit Marihuana füllt. „Würde ich jedes Mal einen Joint drehen, wenn ich was rauchen will, würde ich zu gar nichts mehr kommen. Das Kiffen dient bei mir definitiv nicht dem Spaß.“
Hannah heißt eigentlich anders, ist 28 Jahre alt und leidet an der Schlafkrankheit Narkolepsie – eine neurologische Erkrankung, die Narkoleptiker mehrmals am Tag unkontrolliert einschlafen und nachts teilweise unerträglich real halluzinieren lässt. Ungefähr 40.000 diagnostiziert Betroffene leben aktuell in Deutschland, die Dunkelziffer fällt dabei jedoch wesentlich höher aus. Oft dauert es Jahre, bis die Symptome von Erkrankten richtig gedeutet werden. Die Ursachen für die auftretenden Schlafattacken sind bisher ungeklärt; Forscher gehen davon aus, dass die Zentren im Gehirn dafür verantwortlich sind, die unseren Wach-Schlaf-Rhythmus steuern.
„Das The Ring Mädchen ist der Stereotyp der Angst für mich“
Wenn Hannah nachts einschläft, beginnt ihr Schlaf im Gegensatz zu nicht betroffenen Menschen mit der REM Phase – diese tritt gewöhnlicherweise erst nach einigen Stunden Schlaf auf. Durch Hannahs narkoleptisch bedingten ständigen Halbschlaf entstehen auch ihre Einschlafhalluzinationen. Diese sind nicht durchgehend positiv, sondern wühlen auch geballt in Hannahs Psyche, generieren oft albtraumhaft verkörperte Sorgen und Ängste in ihr. „Das The Ring Mädchen ist der Stereotyp der Angst für mich“, erzählt Hannah. „Ich bin mir voll darüber im Klaren, dass ich sie erschaffe. Ich kann aber nichts gegen sie tun – außer aufzuwachen. Aber versuch mal aufzuwachen, wenn du nicht schreien und dich nicht bewegen kannst, dann noch diese blöde Kuh vor dir steht und du außerdem ein bisschen Zeitdruck hast.“ Hannah lacht traurig. „Ich kiffe vorrangig deswegen, damit ich ohne hypnagoge Halluzinationen schlafen kann. THC drückt meinen Traumschlaf aktiv runter.“
Hat sie diesen hypnagogen Zustand, kann sie nicht nur visuelle, sondern auch auditive Pseudohalluzinationen spüren – und das teilweise, ohne sich bewegen zu können. Obwohl sie weiß, dass sie halluziniert, kann sie in den meisten Fällen nicht darauf reagieren. Das Einzige, was von der Schlaflähmung nicht betroffen ist, sind die Augen – die Lider wiederum schon.
„Ich hatte Tage, wo ich keine Stunde wirklich wach war“
Ihre Diagnose bekam sie im Erwachsenenalter, begonnen haben die ersten Anzeichen allerdings bereits in ihrer Kindheit, erzählt Hannah. Albträume waren immer ein Teil ihrer Erinnerung. Panik vor Fantasiewesen wie E.T Der Außerirdische gipfelte darin, dass ihre Mutter begann, sämtliche Filmbilder aus den Fernsehzeitschriften auszuschneiden und wegzuwerfen. Hannahs Ängste und Träume ordnete man als die eines gewöhnlichen Kindes ein, niemand vermutete eine tatsächliche Krankheit. Erst als im Erwachsenenalter die Einschlaf-Attacken kamen, fing Hannah an, sich ernsthafte Gedanken zu machen. Nach ihrer Ausbildung holte sie ihr Abitur auf der Berufsoberschule nach. Schon während den ersten Unterrichtsstunden döste sie immer wieder weg, vor allem dann, wenn sie nicht aktiv eingebunden war. Jedes Referat, jede Klausur und letztendlich auch ihre Abiturprüfung war Anlass genug, dass ihr Körper erschlaffte – und sie einschlief.