Visa Vie: „Ich habe teilweise 17 Stunden am Tag geschrieben“

Am 6. Dezember erscheint die lang erwartete dritte Staffel und damit auch das Ende des erfolgreichen Hip-Hop-Crime Spotify-Podcast „Das allerletzte Interview“. Die Hauptperson Clara hat sich darin in die Redaktion des größten deutschen Hip-Hop-Magazins Deutschlands eingeschlichen, um den erfolgreichsten Rapper des Landes – Scar – zu töten. Am Ende der zweiten Staffel stürzt Clara in einen See, mehr tot als lebendig. Kein Wunder also, dass die dritte Staffel mit Spannung erwartet wurde. Die Autorin des Hörbuchs ist keine geringere als Visa Vie, die jedem Deutsch-Rap-Fan ein Begriff sein sollte. ZEITjUNG hat die Autorin und langjährige Rap-Moderatorin in Berlin getroffen.

 

ZEITjUNG: Die neue und letzte Staffel von „Das allerletzte Interview“ steht an. Stehst du unter Druck?

Visa Vie: Ich hatte während des Schreibens die ganze Zeit unfassbare Angst. Denn wenn Leute etwas feiern ist das Pech und Glück zugleich. Ich habe für die ersten zwei Staffeln so wenig negatives Feedback bekommen, dass ich schon etwas unter Druck stand, damit die dritte Staffel ähnlich gut wird. Außerdem ist die dritte Staffel ja wirklich das Ende. Was wenn Leute, die Staffel eins und zwei super finden, das Ende kacke finden? Aber jetzt, wo alles fertig geschrieben und aufgenommen ist, muss ich ganz unbescheiden sagen, dass meine Angst geringer geworden ist. Ich bin sehr glücklich und zufrieden mit dem Ergebnis, mit der dritten Staffel und dem Ende. Und ich hoffe, dass es den Hörern dann genauso geht.

Die zweite Staffel ist blutrünstiger als die erste. Legt die dritte Staffel jetzt noch einen drauf?

Also lustigerweise dachte ich ursprünglich auch, dass die dritte Staffel noch krasser wird als die zweite. Und das ist sie in gewisser Weise auch, aber eben auf eine andere Art. Zum ersten Mal wird nicht nur aus Claras Perspektive erzählt, sondern es ist ein Wechsel zwischen Clara und Scar. Clara bleibt aber die Einzige, die aus der Ich-Perspektive erzählt. Für Scar übernimmt eine Art allwissender Erzähler. Dadurch wird der ganze Schmutz in den Gedanken von Scar viel präsenter und man merkt, was für ein ekelhafter Penner er ist. Die neue Staffel wird also auf jeden Fall unangenehmer, düsterer und ein bisschen ekelhafter (lacht).
Es ist jetzt auch zum ersten Mal passiert, dass Spotify bei einer Sache meinte „Tut uns leid, aber das ist zu viel“. Es wird mehr um Sex und Drogen gehen. Ich hoffe, jetzt hören die Leute erst recht zu: Tote, Drogen, Sex, was will man mehr (lacht).

Bisher hast du alle Figuren selbst gesprochen. Wenn die Geschichte jetzt aber aus zwei Perspektiven weiter erzählt wird, bedeutet das, dass auch noch eine andere Stimme zu hören sein wird?

Ich spreche immer noch alles selbst, aber bei Scar benutze ich eine ganz andere Betonung, da ist viel mehr Druck dahinter. Und mir ist bei der Aufnahme aufgefallen, dass längere Passagen aus seiner Perspektive viel anstrengender sind, als die in denen ich Clara spreche. Es bleibt also die gleiche Stimme, aber man hört einen Unterschied.
Und apropos Stimme, es gibt noch eine Neuerung: In den ersten beiden Staffeln hat das Intro und Outro Bausa gesprochen. Dieses Mal übernimmt OG Keemo. Das finde ich mega cool, denn er ist ein toller Künstler mit einem wahnsinnigen Gespür für Ästhetik. Dass er da mitmacht war wie ein kleiner Ritterschlag für mich. Er hätte ja auch einfach Nein sagen können.

Warum ein Hörbuch und nicht einfach ein Buch?

Dadurch, dass ich die ganze Zeit mit Spotify im Gespräch stand und wir gemeinsam etwas machen wollten, hat sich das ergeben. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch keinen Verlag der an mir interessiert war – jetzt allerdings schon. Spotify war die erste Plattform, die mir die Möglichkeit geboten hat, mich als Autorin auszuleben. Sie haben mir freie Hand gelassen und die Katze im Sack gekauft, aber dann am Ende auch nicht bereut (lacht).

Das Ganze wird es auch nicht als Buch geben. Ich hatte das kurzzeitig überlegt, Angebote waren da, aber für mich ist das eine Spotify-Hörbuchserie und kein Buch.

Was wäre, wenn jemand daraus einen Film oder eine Serie machen wollen würde?

Tatsächlich gab es schon nach der ersten Staffel einige Interessenten, aber ich habe gesagt ich möchte erst mit der dritten Staffel fertig werden und dann beschäftige ich mich damit. Aber ganz ehrlich, wenn das klappt, wäre das ein absoluter Traum. Es gibt noch keine Hip-Hop-Serie, die aus einer weiblichen Sicht erzählt wird. Es gibt auch keine bekannten Hip-Hop-Filme mit einer weiblichen Protagonistin.

Beim Hörbuch geht’s viel um das gesprochene Wort und das hast du ja im Blut: Du bist erfolgreiche Moderatorin und ich habe mal gelesen, dass du schon mit 10 Jahren beim Tigerentenclub moderiert hast. Findest du den Übergang von der Moderatorin zur Autorin nun schwierig?

Es ist ein komplett anderes Leben. Als Moderatorin ist man immer unterwegs, immer unter Menschen, es geht ganz viel um die Kommunikation mit anderen und ich habe mich da auch immer total zurückgenommen. Schreiben hingegen ist bei mir komplette Isolation. Ich habe teilweise 17 Stunden am Tag mit zwei kleinen Pausen geschrieben. Ich vereinsame in der Zeit komplett und habe keinen Kontakt zur Außenwelt, aber danach geht’s dann auf einmal um mich.
Ich rede dann über mich und das ist auch etwas komisch, weil ich das in meiner Moderationszeit so nie hatte. Ich könnte jetzt aber auch nicht sagen was besser oder schlechter ist, beides ist spannend. Ich bin aber auch froh, denn moderiert hab ich zehn Jahre lang und gerade ist alles neu und anders und aufregend und es fühlt sich sehr, sehr richtig an. Auch wenn es viel anstrengender, ist als mein alter Job.

Wie gehst du beim Schreiben vor?

Ich gehöre leider zu den Menschen, die alles auf den allerletzten Drücker machen und das hat mich diesmal wirklich ordentlich Nerven gekostet. Ich hatte eine Deadline und ich habe sie so weit ausgereizt, dass ich mir am Ende einen Schreibplan erstellt habe. Dann musste ich jeden Tag ungefähr zehn Seiten schreiben, aber manchmal habe ich das nicht geschafft und musste am nächsten Tag noch mehr schreiben. Außerdem musste ich parallel dazu die geschriebenen Seiten überarbeiten. Das war wirklich ein Albtraum. Ich kann leider nicht wie normale Menschen für vier Monate lang jeden Tag zwei Seiten schreiben, deshalb waren die letzten Wochen vor der Deadline wirklich ein absoluter Kopffick. Zwischendurch dachte ich sogar, ich schaff es nicht und auch von den berühmt-berüchtigten Schreibblockaden hatte ich ein paar. Aber deshalb ist es umso schöner, dass sich am Ende alles gefügt hat. Jetzt bin ich sehr, sehr glücklich.

Bei deinem Hörbuch handelt es sich um eine Hip-Hop-Crime-Story. Bei deiner Vergangenheit macht Hip-Hop natürlich Sinn, aber warum Crime?

Dabei handelt es sich nach Rap einfach um meine zweitgrößte Leidenschaft. Ich hab keine Ahnung warum, aber ich war schon immer an allem interessiert, das mit Mord und Totschlag zu tun hat. Mörder, Vergewaltiger, Attentäter, Amokläufer, Entführungen interessieren mich einfach unfassbar doll. Ich lese auch viel darüber und wenn ich Zeit habe, höre ich fürchterliche Podcasts über Mordfälle an. Ich habe sogar die große Enzyklopädie der Serienmörder zu Hause. Wie bei Clare steht auch bei mir ein Zeitschriftenständer mit Magazinen über Verbrechen neben dem Klo.

Du hast in einem anderen Interview erzählt, dass die Leute sicher schockiert wären, wenn sie wüssten wie viel Wahrheit in deinem Hörbuch steckt. Gibt es eine Episode aus deiner Zeit als Moderatorin, die sich dir besonders eingeprägt hat?

Es gibt so viele gute und so viele schlechte Geschichten. In den zehn Jahren ist einfach so viel zusammen gekommen, ich wüsste gerade gar nicht, wo ich anfangen beziehungsweise aufhören soll. Ganz viele von meinen Erlebnissen sind im Hörbuch gelandet, negative und positive. Es gibt Geschichten in „Das allerletzte Interview“, die sind eins zu eins so passiert, aber kein Mensch würde das glauben.

Gab es auch Beschwerden von Rappern, die sich angesprochen gefühlt haben?

Ja, das ist passiert. Aber das Gute ist, dass alles abgewandelt ist. Namen und Optik der Personen sind so verändert, dass da niemand drauf kommen kann. Je schlimmer die Figur ist, desto mehr habe ich sie dann auch entstellt. So wissen nur die Person, die als Vorbild hergehalten hat und ich, um wen es sich handelt. Positivere Personen habe ich näher an der Realität gezeichnet. Zum Beispiel gibt es die Figur Baba, die in meinem Kopf aus zwei Personen besteht und immer wenn Leute zu mir kommen und raten, um wen es sich dabei handelt, liegen sie richtig – auch wenn ich das dann natürlich nicht zugeben kann.

Da fällt mir übrigens noch etwas ein, das hab ich bisher noch nirgends erzählt und zwar sind Dinge passiert, nachdem ich darüber geschrieben hatte. In allen drei Staffeln! Jetzt bei der letzten Staffel ist etwas passiert, das ich ein paar Stunden vorher aufgeschrieben hatte. Ich weiß das klingt jetzt total krank und nach der Unendlichen Geschichte, aber das war wirklich so und ich kann das sogar beweisen. Nur gerade kann ich nicht erzählen worum es geht, das wäre ein ziemlicher Spoiler.

In „Das allerletzte Interview“ geht es auch viel um Sexismus. Ein wichtiges Thema im Deutschrap. Warum ist Sexismus in dieser Szene so ein großes Problem?

Rap ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, ein Spiegelbild einer besonderen Gesellschaft. Ich habe aber im Vergleich zu vielen anderen ein optimistischeres Bild von der Szene, einfach weil ich glaube, dass sich in den letzten 10 Jahren viel verbessert hat – so wie sich in der gesamten Gesellschaft vieles verbessert hat. Es wird immer mehr gesprochen, hinterfragt und reflektiert und immer mehr Menschen wehren sich gegen bestimmte Dinge. Ähnlich sehe ich das in der Rapwelt, deshalb ist es für mich auch gar nicht so wichtig, wo der Sexismus herkommt. Wichtig ist, dass er immer weiter verdrängt wird. Ich habe eine sehr optimistische Sicht auf die Dinge, denn ich selbst empfinde den Sexismus im Jahre 2019 im Rap schon 100.000 Mal geringer, als das 2010 noch der Fall war. Wenn die Dinge, die damals passiert wären, heute passieren würden, wären alle so „Ciao, verpiss dich“. Es würde Anzeigen oder Fäuste hageln. Natürlich wäre es auch Quatsch zu behaupten, dass alles super ist. Ich möchte aber eben nicht nur aufzählen, was alles beschissen ist, sondern mich auch über unsere Fortschritte freuen. Natürlich gibt es Rapper, die sich rückschrittlich verhalten, aber es gibt immer mehr Frauen, die sagen „Alter, halt dein Maul“. Das Ganze wird einfach so viel tiefer thematisiert, dass ich glaube wir sind auf dem richtigen Weg. Ich fühle mich als Teil einer sich immer weiter ins positive entwickelnden Rap-Gesellschaft.

Wie erklärst du dir, dass Rapper, wie die von der 187 Straßenband weiterhin so erfolgreich sind, obwohl bekannt ist, dass sie Frauen schlagen?

Das ist wirklich ein schwieriges Thema. Es gibt auch in der neuen Staffel der Hörbuchserie einen Rapper, der sein Leben lang meinte, er kommt mit allem durch – und auf einmal stehen die Leute auf und bieten ihm die Stirn. Da habe ich eine Utopie geschaffen, in der auf einmal alle sagen, das geht so nicht, egal wie erfolgreich du bist. Da habe ich mir vorgestellt, wie das wohl in der Realität wäre, obwohl wir davon noch meilenweit entfernt sind.
Ich ertappe mich auch manchmal selbst dabei, wie ich Sympathien hege, menschlich und musikalisch und deshalb kann ich gut verstehen, wenn es Menschen schwer fällt zu differenzieren, zwischen der Person und der Musik. Ich habe zum Beispiel die Musik von XXXTentacion mega gefeiert. Der ist zwar mittlerweile tot, aber es steht eben immer noch die Frage im Raum, ob er seine schwangere Frau misshandelt hat. Deshalb habe ich entschieden, dass ich seine Musik maximal noch für mich alleine hören kann, aber nicht mehr in der Öffentlichkeit dazu abgehen werde.

Wenn das jetzt dein allerletztes Interview wäre, was wären deine letzten Worte?

Seid lieb (lacht).

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Bildquelle: Markus Nass © Spotify