Warum sich ein kritischer Blick auf die Serie „You“ lohnt
„You – Du wirst mich lieben“. Das ist der deutsche Titel der US-Serie, die auf Netflix ausgestrahlt wird und auf Caroline Kepnes‘ gleichnamigen Roman basiert. In den zehn Folgen der ersten Staffel geht es um den netten, durchschnittlich wirkenden Buchhändler Joe Goldberg (Penn Badgley), der sich in die abgebrannte Studentin Guinevere Beck (Elizabeth Lail) verliebt. Schnell wird klar, dass der auf den ersten Blick so liebenswerte Joe nicht einfach nur interessiert, sondern vor allem ein echter Stalker ist, der eine Besessenheit für „Becks“ Leben off- und online entwickelt. Um alles über sie zu erfahren, folgt er ihr heimlich, beobachtet sie, dringt in ihre Wohnung ein, entwendet persönliche Gegenstände, loggt sich in ihr Handy – und schreckt auch sonst vor nichts und niemandem zurück.
Wer „You“ noch nicht gesehen hat, dem sei gesagt: Psycho-Thriller meets Intrigen, Sex sells auch ganz gut und angesiedelt ist das Ganze in der hippen, Like-süchtigen Social Media Welt New Yorks. Und nebenbei wurden mit Penn Badgley (Gossip Girl) und Shay Mitchell (Pretty Little Liars), die Becks reiche und versnobte Freundin Peach spielt, auch noch zwei Schauspieler gecastet, die die Einschaltquoten bestimmter Zielgruppen garantieren. So weit, so gut.
Der liebenswürdige Stalker
Bei „You“ erlebt man allerdings nicht nur kleine Fremdschäm-Momente für Becks gewollt (?) laszive Spracheinlagen und die absolute Oberflächlichkeit der menschlichen Existenz, sondern sieht sich als Zuschauer auch in einer Position, die eigentlich so gar nicht zur Handlung passt. Und genau das ist vielleicht das Problem. Denn obwohl man ganz genau weiß, dass Joe der Bösewicht ist und Liebe anders aussieht, findet man ihn sympathisch und hofft eine ganze Weile, dass er mit seinen Taten davonkommt. Das liegt nicht nur an der subjektiven Erzählperspektive Joes und seiner Sensibilität und Fürsorglichkeit dem Nachbarjungen Paco gegenüber, sondern vor allem an der fast durch die Bank weg negativen Darstellung der restlichen Figuren – allen voran die seiner Angebeteten. Die ist nämlich das zweite dicke Problem. Aber dazu gleich mehr.
Die Manipulation des Zuschauers und die daraus folgende Sympathie für den Schurken kommen in der Literatur und im Film immer wieder vor, hinterlassen bei „You“ aber doch einen sehr bitteren Nachgeschmack. Joe ist schließlich nicht einfach nur der Junge von nebenan, der seine Freundin glücklich machen will – Joe ist ein gefährlicher Stalker, der eindeutig alle Grenzen übertritt und schwere Straftaten begeht. In der Serie allerdings wird er in ein derart positives Licht gerückt, dass sein kriminelles Verhalten nicht nur verharmlost, sondern auch fast entschuldigt wird. Stalking soll so schlimm sein? Ach was, Joe ist doch eigentlich ein ganz Lieber! Der meint es doch nur gut!
Das naive Opfer
Und dann ist da eben noch Beck. Beck ist ein Stalking-Opfer, das absolut klischeehaft die Rolle der schwachen, emotional und finanziell vollkommen abhängigen Frau widerspiegelt, die ohne den Mann eigentlich komplett aufgeschmissen ist (man möchte fast Halleluja schreien, als sie sich wenigstens selbst befriedigt). Aber nicht nur das: Sie ist auch eine Möchtegern-Autorin, die von alleine keinen Finger krümmt und ihre Zeit lieber mit ihren geistlosen Freundinnen und auf Instagram verbringt. Sie lebt über ihre Verhältnisse und kommt überhaupt auch ziemlich oberflächlich und naiv rüber. Doch Gott sei Dank tritt Joe in ihr Leben. Sie wusste es vielleicht noch nicht, aber Beck braucht Joe. Joe hilft ihr dabei, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen und endlich den Durchbruch als Bestseller-Autorin zu schaffen. Joe ist ihre Schulter, ihr Leuchtturm, ihr Lifecoach, ihre sexuelle Befriedigung. Joe könnte aber auch genauso gut gegen Tom oder David ausgetauscht werden, denn es scheint so, dass Beck nur einen netten Mann braucht, der sie (endlich) aufpäppelt. Da kann sie ihm dann natürlich auch seine Fehler verzeihen. Stalking soll also so schlimm sein? Quatsch, Beck wollte doch immer jemanden, der sich um sie kümmert! Und sie breitet doch eh ihr ganzes Leben online aus! Vielleicht ist sie sogar selbst Schuld daran …