Warum wir lernen sollten Komplimente anzunehmen

„Mensch, du hast aber schöne Schuhe an“ – „Ja, ich weiß…“ Es folgt Stille, dann ein gequältes Lächeln. Während ich mich frage, was mein kurzzeitiger Gesprächspartner mir damit sagen möchte, hat er meine nachdenkliche Ablenkung genutzt, um unbemerkt zu entkommen. Ich bleibe ratlos zurück.

Komplimente anzunehmen erscheint mir ähnlich einfach wie den USB-Stick beim ersten Mal richtig in den PC zu stecken. Das könnte an geringem Selbstwertgefühl liegen oder an Unsicherheit. Doch ich bin ziemlich zufrieden mit mir und einen akuten Mangel an Selbstvertrauen hat mir bis jetzt niemand diagnostiziert. Dennoch nimmt das Level of Awkwardness stetig zu, sobald jemand etwas einigermaßen Liebes zu mir sagt.

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Du hast schöne Haare, ein bezauberndes Lächeln, du wirst so süß rot im Gesicht. Ja, aus Wut, denn was du über mein Aussehen denkst, interessiert mich nicht. Oder der Klassiker eines jeden schlechten Small-Talks: Gut siehst du heute aus! Gruselig. Für mein Äußeres kann ich nichts und mein Gesicht ist auch schon immer dasselbe, also was soll das. Vielleicht liegt aber hier genau der Punkt: Ich finde es lächerlich, Komplimente zu verteilen für Dinge, die einfach so sind wie sie sind. Ebenso komisch wäre es, sich dafür zu bedanken. Niemand ist für seine „schönen Augen“ verantwortlich oder sein „wunderschönes Lächeln“. Einzig unsere DNA kann da etwas dafür. Eher sollte es heißen: „Hey, ich mag, dass deine Eltern Sex hatten und dir ihre Gene vererbt haben und deshalb aus dir ein – wie ich finde – ganz ansehnliches Menschlein geworden ist.“ Und als Antwort: „Darüber bin ich auch ziemlich froh“. Sobald diese Art der Konversation gesellschaftstauglich wird, kommt meine große Zeit.

Selbst wenn mir meine bisherigen Beziehungspartner gesagt haben, wie attraktiv sie mich finden, war mein Gedanke: Als mein Freund wäre alles andere auch höchst unwahrscheinlich. Ist mein Ego einfach so groß, dass ich alle anderen außer mir als nicht würdig genug betrachte, um mir auch nur ansatzweise Lob entgegenbringen zu können? Muss ich mal von meinem hohen Ross runterkommen? Wow, das wäre eine Musterdefinition für „Arschloch“. Ich grusele mich vor mir selbst.

Ein Blumenstrauß aus Worten

Eigentlich ist es doch was schönes, wenn andere sagen, was sie an einem mögen. Niemand sollte sich deswegen unwohl fühlen müssen. Wir müssen checken, dass ein ehrlich gemeintes Kompliment á la „Du warst mir wirklich eine große Hilfe“ kein Verbrechen ist. Es ist ein Blumenstrauß aus Worten. Hier, bitteschön, für dich. Danke. Oft denken wir, dass wir für das Kompliment eine Gegenleistung erbringen müssen. Von diesem Gedanken müssen wir uns lösen. Ich muss niemanden heiraten, bloß weil er meinen Charakter nicht gänzlich abstoßend findet. Und wenn das jemand erwartet – selbst schuld. Einen Scheiß muss ich. Bei einem Geschenk erwartet schließlich auch keiner, dass wir demjenigen das Geld dafür zurückzahlen. Genau so wenig müssen wir uns bei einem Kompliment verbeugen, einmal im Kreis drehen oder den anderen mit Gegenlob überhäufen. Ein schlichtes Danke reicht völlig aus. Wem das schwerfällt, probiert ein Kopfnicken. Ein Lächeln kann mehr als tausend Worte sagen.

Diese kleinen Ego-Pushs im Alltag braucht doch jeder ab und zu. Wir sollten stolz darauf sein, dass andere gern ihre Zeit mit uns verbringen, unsere Arbeit schätzen oder sich gern mit uns in der Mittagspause unterhalten. Unsere Gegenüber sehen uns mit anderen Augen. Ist also nur logisch, dass ihnen dann Dinge auffallen, die wir nicht (mehr) wahrnehmen. Aus schlichter Gewohnheit und Alltagsblindheit oder weil sie für uns nicht von großer Bedeutung sind. Klar, ich muss niemandem gefallen, weder äußerlich noch innerlich. Aber wenn jemand gern mit mir zusammenarbeitet oder anmerkt, dass ich ein toller Gesprächspartner bin, dann darf ich mich verdammt nochmal freuen! Wenn ich daraufhin demjenigen um den Hals fallen möchte, why not. Wenn ich nur einen Mundwinkel verziehe, muss das aber auch reichen.

Wenn wir merken, dass sich jemand ernsthaft Mühe gibt und bewusst sagt, wie toll wir jeden Morgen unsere Frisur immer hinkriegen anstatt einfach zu sagen: Schöne Haare! Dann sollten wir nicht herablassend antworten, sondern einfach mal die Wertschätzung dafür annehmen. Selbst wenn es in dem Fall die einzige Frisur ist, die wir hinbringen.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0-Lizenz