Wut

Warum Wut auch nur eine Form von Angst ist

Intuitiv würde man wohl nicht vermuten, dass hinter Wut in vielen Fällen schlichtweg Angst steckt. Schließlich ist ein Wutausbruch eher beängstigend für diejenigen, die ihn miterleben müssen. Was hat Wut also mit Angst zu tun?

Von außen betrachtet müssen Menschen manchmal ziemlich verrückt wirken. Sie schmeißen mit Geschirr, werfen Smartphones auf den Boden, brüllen herum als wären sie wahnsinnig. Sie gehen auf ihr Gegenüber los oder ergreifen Hals über Kopf die Flucht, um schnellstmöglich die Situation zu verlassen.

Sie sind wütend. Wut ist eine intensive, vor allem aber eine offensive Emotion. Zumindest auf den ersten Blick. Wut wirkt stark, dominant, beängstigend für jene, die sie miterleben müssen.

Persönliche Erfahrungen mit Wut und Angst

Mein halbes Leben lang war Wut „meine“ Emotion. Betrachtet man die grundsätzlichen negativen Emotionen – also Wut, Angst und Traurigkeit – habe ich den Eindruck, dass bei allen Menschen eine dieser Emotionen besonders vordergründig ist. In dieser Hinsicht war die Welt für mich eingeteilt in Wut-, Angst- und Traurigkeitstypen. Und meines Erachtens war ich ganz klar ein Wuttyp.

Im Gegensatz dazu habe ich mich eigentlich nie als ängstlich eingeschätzt. Dass ich das nicht getan habe, lag daran, dass ich Angst nur oberflächlich betrachtet habe, genauso wie Wut. Ängstliche Menschen waren für mich solche, die sich nicht trauten, in unserem Kleinstadt-Schwimmbad vom 3-Meter-Turm ins Wasser zu springen. Solche, die sich nicht trauen, sich ohne nennenswerte Erfahrung auf ein Moped zu setzen und loszufahren. Solche, die sich nicht auf die Achterbahn wagen, die nie einen Fallschirmsprung machen und nie allein verreisen würden. Solche, die Schlangen fürchten, die zusammenzucken wenn Hunde bellen und die sich nie im Leben auf ein Pferd setzen würden. Okay, zugegeben: Was die Angst vor Tieren angeht, bin ich wohl auch nicht ganz furchtlos, denn ich renne weg, wenn ich eine Spinne sehe. Aber abgesehen davon hatte ich eigentlich nie wirklich offensichtliche Ängste. Oberflächlich betrachtet war ich also (fast) angstfrei – was ich im Hinblick auf Wut nicht unbedingt von mir behaupten konnte.

Ich kenne nur drei Menschen, die mir damals in Sachen Wutausbrüche eventuell das Wasser hätten reichen können. Wenn ich sage, dass die Menschen, die meine Wutausbrüche erlebt haben, Angst vor mir hatten, wäre das nett ausgedrückt. Oft haben sie sich nicht einmal mehr getraut, zu sagen, was sie denken, um mich irgendwie zu besänftigen.

Ich habe mich also die längste Zeit meines Lebens als „wütend“ betrachtet, als leicht reizbar. Die Wut war Teil des Bildes, das ich von mir selbst hatte. Ganz im Gegensatz zur Angst, die ich nie als Teil von mir anerkennen wollte. Angst und Wut waren in meinem Kopf nur schwer vereinbar. Sozusagen entfernte Verwandte, die kaum etwas miteinander zu tun haben.

Mittlerweile glaube ich, dass Angst der Ursprung von Wut ist. Das heißt natürlich nicht, dass Menschen, die weniger „wütend“ sind, keine Ängste haben. Sie neigen nur weniger dazu, diese Ängste in Aggressionen umzuwandeln und sie auf diese Art zu externalisieren.