1 Jahr #metoo

Seitdem Anfang Oktober 2017 Harvey Weinstein wegen sexueller Belästigung beschuldigt wurde und Alyssa Milano daraufhin unter dem #metoo andere Frauen dazu animierte, ihre eigenen Geschichten über sexualisierte Gewalt und Diskriminierung zu äußern, ist eine hitzige Debatte entfacht. Die Pro-und-Contra-Liste von #metoo ist lang und emotional aufgeblasen. Ein Jahr diskutiert die Welt nun schon über die Bedeutung und Folgen dieses Hashtags.

Der kollektive Copy-Paste Aktivismus

Ich selbst habe damals sehr lange überlegt, ob ich diesen Hashtag teilen soll. Ich habe viel mit meinen Freundinnen darüber diskutiert und bin letztendlich  zu dem Schluss gekommen, mich am kollektiven Copy-Paste Aktivismus zu beteiligen. Dabei ging es in erster Linie gar nicht um mich selbst. Ich weiß spätestens seit ich 10 Jahre alt bin, dass Männer gefährlich sind und ich mich vor ihnen in Acht zu geben habe. Das war der damalige Tenor der Erziehung. Ich weiß auch spätestens seit meinem 15. Lebensjahr, dass eine Gruppe von erwachsenen Männern sich nicht scheut, zwei junge Mädchen als „Pussy“ zu beschimpfen und ihnen hinterherzurennen, sodass sie sich in einem Hauseingang verstecken müssen. Ich weiß aber vor allem, dass das keine Geschichten sind, die in meinem Freundinnenkreis irgendwen überraschen. Alle wissen davon, alle können ein Lied davon singen.

Wir sind kein Einzelfall

Was mich dazu ermutigt hat, selbst #metoo zu posten, waren die anderen Frauen. Es waren all jene, die den Mund aufgemacht haben und das Narrativ „Wenn du nicht aufpasst, passiert dir etwas Schlimmes“ der Normalität entrissen und endlich zu dem gemacht haben, was es ist: ein Absurdum, dem wir uns widersetzen können. Denn wir sind kein Einzelfall, wir hatten nicht einfach nur Pech, wir sind nicht bloß zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Wir sind auch nicht einfach nur eine kleine Gruppe. Wir sind alle. Und jetzt wehren wir uns!

Opfer sexualisierter Gewalt zu werden ist nichts, wofür man sich als Einzelperson schämen sollte. Es ist etwas, wofür sich unsere Gesellschaft schämen sollte. Facebook gab an, dass allein 24 Stunden nach Alyssa Milanos Post, mehr als 12 Millionen Posts, Kommentare und Reaktionen dazu erschienen. Ob Facebook der richtige Ort ist, um eine solche Debatte auszutragen?  Das kann ich nicht beantworten. Trotzdem zeigen solche Zahlen, wie mächtig das Thema ist.

Für Gleichberechtigung auf dem Papier kämpfen wir nicht.

Heute werde ich oft von älteren Männern gefragt, ob Feminismus denn nötig sei, wir seien doch gleichberechtigt und Männer würden ja auch Kinderwagen schieben und in Elternzeit gehen. Doch für Gleichberechtigung auf dem Papier kämpfen wir nicht. Gleichberechtigung auf dem Papier haben wir laut Grundgesetz. Das woran es uns mangelt, sind keine gut gemeinten Worte, sondern die Auflösung struktureller Knoten, die Frauen daran hindern sich in dieser Welt sicher und wertgeschätzt zu fühlen. Niemand kann entscheiden, was einem anderen Menschen wehtut, außer eben dieser Mensch selbst. Also  sollten wir doch jenen, die sich diskriminiert und belästigt fühlen, am besten einfach zuhören.

Der Backlash von #metoo ist groß

In meiner Naivität bin ich davon ausgegangen, #metoo würde neben Aufmerksamkeit vor allem eins erzeugen: Verständnis. Doch aus vielen Ecken erklingt regelmäßig Kritik. Der Backlash von #metoo ist erschütternd groß. Ich sehe, wie Richard David Precht in „die Zukunft von Mann und Frau“ mit Svenja Faßpöhler „das Ende der Verführungskunst“ beklagt. Trump erklärt, dass es gefährliche Zeiten für Männer sind, nachdem Kavanaugh trotz  Vergewaltigungsvorwürfen zum Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten ernannt wurde. In Ungarn werden die „Genderstudies“ zum Schutz der christlichen Familie an den Universitäten abgeschafft und ich frage mich, seit wann der Kampf um Gleichberechtigung ein Kampf gegen jemanden geworden ist. Flirtet Herr Precht denn nicht auch lieber mit Frauen, die freiwillig und aus eigenem Interesse zurückflirten? Ist die Zeit für Männer jetzt so schwer, weil sie für ihre Taten Verantwortung übernehmen müssen? Ist es wirklich das Problem der Opfer sexualisierter Gewalt, dass sie an den Pranger stellen, was sie verletzt, demütigt und ihnen Angst einjagt? Ist die Negierung anderer Geschlechter und das Festhalten an alten Rollenbildern die einzig mögliche Antwort auf die Kritik am Patriarchat?

Feminismus war schon immer eine Friedensbewegung

Ein Jahr nach #metoo wird klar: Bei #metoo geht es um mehr, als Harvey Weinstein, Kanavaugh oder Trump. #metoo hat Frauen eine Stimme gegeben, die sich vielleicht sonst nie getraut hätten, sich zu äußern. #metoo hat ein Fass aufgemacht, dass sich nicht mehr ohne weiteres schließen lässt. Und aus diesem Fass fließen auch andere Themen, wie die immer noch vorherrschende Zuständigkeit von Frauen für Care-Arbeit, die Forderung nach adäquater Kinderbetreuung, der Kampf um ein Recht auf Abtreibung, Themen wie sexuelle Vielfalt und Antirassismus. Werfen wir einen Blick auf die Geschichte der Frauenbewegung, wird ganz deutlich, dass Feminismus schon immer auch eine Friedensbewegung war. Im letzten Jahr wurden nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung von frieden-fragen.de 27 Kriege und 4 bewaffnete Konflikte weltweit gezählt, so viele wie in den letzten 25 Jahren nicht. Die Queen prophezeit in einer Rede, die vom BBC aufgenommen wurde, den Dritten Weltkrieg. Ich glaube es ist kein Zufall, dass die Feminismusbewegung weltweit derzeit so viel Zuspruch findet. Schließlich schaden solche Katastrophen immer jenen zuerst, die ohnehin schon benachteiligt sind.

Wir können hier nicht frei sein, wenn wir es anderswo nicht sind

#metoo bedeutet also nicht nur: „Auch ich wurde vergewaltigt!“ #metoo bedeutet vor allem: „Das betrifft auch mich!“ Als Zeichen von Verständnis, Anteilnahme, Wut über das was passiert, wird #metoo zu einem Ausspruch von Solidarität und Zusammenhalt. Denn Feminismus ist immer noch der Kampf für die Gleichberechtigung aller Menschen. Hier und überall. Niemand kann behaupten, es ginge nur um die Gender-Paygap und Kitaplätze. Das tut es auch, aber vor allem wird deutlich, dass wir Frauen hier niemals frei sein können, wenn wir es anderswo auch nicht sind.

Aufgeben ist keine Option

Am 8.März 2019 (internationaler Frauenkampftag) soll der große deutschlandweite Frauen*streik stattfinden, der Frauen dazu auffordert sämtliche Arbeit – bezahlt oder unbezahlt – niederzulegen, nicht hübsch zu lächeln, nicht einkaufen zu gehen. Schlicht: nichts zu tun, was von uns erwartet wird. Auch wenn sich nach dem letzten Streik 1994 an den Forderungen nicht so viel verändert hat, bleibt uns doch ein positives Licht am Horizont: Wir haben noch lange nicht aufgegeben. Und: Aufgeben ist keine Option.

Ich glaube natürlich nicht, dass ein Hashtag beseitigen kann, was sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte zieht. Aber er kann darauf aufmerksam machen. Er kann sagen: Sowas passiert, immer wieder, überall. Aber jetzt werden wir es nicht mehr stillschweigend ertragen! Und er kann uns dazu anregen unser Miteinander zu überdenken.

 

Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!

Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz