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Cancel Culture: Wer hat recht?

Wandel passiert nicht dadurch, dass ein paar Menschen ganz höflich fragen

Eine andere Meinung vertritt die LGBTQ-Aktivistin und Kolumnistin Anna Rosenwasser. „Was wir erleben, ist Widerstand gegen Machtverhältnisse, die jahrzehntelang galten. Wenn wir nicht öffentlich darüber diskutieren, was wir akzeptieren und was nicht, dann bringt das die Gesellschaft nicht voran“, macht sie ihren Standpunkt in einem Interview mit dem Schweizer Sender SRF klar. „Aktivismus kann im Ton variieren, mir ist auch nicht immer wohl dabei. Aber wer lange nicht mitreden durfte, ist die dauernde Duldsamkeit vielleicht auch mal leid.

„Gesellschaftlicher Wandel passiert nicht dadurch, dass ein paar Leute ganz höflich fragen, ob es allenfalls – sofern es keine Umstände macht – ein bisschen mehr Gerechtigkeit geben könnte.“

LGBTQ-Aktivistin Anna Rosenwasser

Wie diese Gerechtigkeit aussieht und wie sie erlangt werden kann, daran scheiden sich die Geister. Besonders klar wird das bei einem Blick auf die Forderungen nach Quoten. Während die Pro-Seite darin eine Möglichkeit sieht, auch Minderheiten in höheren Positionen einzubinden und zu repräsentieren, lehnt es die Gegenseite entschieden ab – besonders im Hinblick auf die Frauenquote kann Artikel 3 des Grundgesetzes unterschiedlich ausgelegt werden.

  • Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
  • Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
  • Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. 

Ackermann selbst lehnt Quoten ab. „Über Quoten kriegen wir keine Gerechtigkeit. Eine der großen Errungenschaften ist gerade die Gleichheit vor dem Recht jedes einzelnen Individuums. Und zwar unabhängig von der Hautfarbe, unabhängig von der Ethnie, unabhängig vom Geschlecht.“

Demokratie tut weh

Ungeachtet der unterschiedlichen Meinungen gehe es Ackermann aber vor allem darum, miteinander in Dialog zu treten und zu diskutieren. Sie ist ein Mitglied von „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“, ein Zusammenschluss aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich „für ein freundliches Wissenschaftsklima“ einsetzen. Auf der Homepage heißt es: „Darunter verstehen wir eine plurale, von Sachargumenten und gegenseitigem Respekt geprägte Debattenkultur und ein institutionelles Umfeld, in dem niemand aus Furcht vor sozialen und beruflichen Kosten Forschungsfragen und Debattenbeiträge meidet.“ Auch die LGBTQ-Aktivistin Rosenwasser gibt sich im SRF-Interview offen. „Es geht nicht darum, die Leute zum Schweigen zu bringen. Es geht um längst fällige Debatten“, sagt sie im Hinblick auf den Begriff der Cancel Culture. Am Ende ist Demokratie eben auch, wenn es wehtut. 

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Bildquelle: Markus Winkler auf Unsplash; CC0-Lizenz